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einen Blick in höhere Ebenen tun. Die Idee (in Form der Ein-
gebung) ist nicht ein bloß Erschlossenes, noch bloß Gefordertes,
sondern Selbsterfahrung jedes Menschen.
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Aber sobald wir von hier aus vorwärtsdringen wollen und weiter
nach dem Vorsein der Ganzheiten, dem Ideenreiche, fragen, tritt
uns überall das Geheimnis entgegen. Der Begriff „Ideenwelt“ ist
gültig, aber er sagt noch nicht, daß wir die Idee rein erkennen. Er
sagt zunächst nicht mehr, als daß es im Geiste nicht so natürlich zu-
gehe, wie die naturalistische Seelenlehre will, daß Übernatürliches
in uns am Werke sei
1
.
Indessen, schon die Gewißheit des Übernatürlichen ist ein un-
endlicher Wert. Obzwar diese geistige Überwelt in uns selbst lebt
und wirkt, wird sie uns darum noch nicht offenbar.
Auch die behutsame Feststellung, die wir im vorstehenden mach-
ten, indem wir zuerst die Eingebung betrachteten und von da zu
ihrer Grundlage, der Idee als der Ganzheit in ihrem Vorsein, fort-
schritten, ist von der Art, daß sie dem heutigen Denken als über-
schwenglich erscheint. Die unwiderlegliche Begründung der Idee
liegt jedoch unseres Erachtens nach der prüfenden Seite hin darin,
daß die naturalistische Seelenlehre für die Tatsachen der Eingebung
keine auch nur im entferntesten angängige Erklärungen habe (als da
sind: Zufall, unmerkliche Vorstellung und Schlüsse, überaus schnelle
Assoziationen ganzer Schlußreihen); nach der aufbauenden Seite
vor allem darin, daß die Eingebung eine innere Erfahrung des
schöpferischen Geistes sei und daß der Begriff der Eingebung allein
Wissen und Kunst erklären könne. Von der Eingebung her wird
dem Begriffe Wahrheit und der Gestalt Schönheit verliehen. Im
Überindividuellen der Wahrheit und Schönheit liegt der Beweis,
daß in der Welt der Eingebung ein Über-Dir auftritt. Das / geistige
Wesen, die Grundlage dieses Über-Dir ist es, was den Begriff der
Idee bestimmt.
Daß das Eingebungsbewußtsein ein Zeugnis der Rückverbunden-
heit des Menschen mit der Ideenwelt sei, beweisen geschichtlich auch
diejenigen Menschen, denen geistige Eingebung vor anderen zu-
1
Nach der ontologischen und gefügehaften Seite hin, besonders der Frage
nach Jenseitigkeit oder Einwohnung der Idee, gewährt indessen die ganzheitliche
Auffassung klare Einblicke. Diese Fragen habe ich an einem anderen Orte er-
örtert. (Vgl. Der Schöpfungsgang des Geistes, Jena 1928, S. 507 ff.)