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nung kommen). Nicht das Verhältnis Idee—Begriff, sondern Idee—
Eingebung—Begriff herrscht
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.
Dasselbe finden wir, wenn wir fragen, wie die Idee in den ge-
s e l l s c h a f t l i c h e n G e i s t und damit in die G e s c h i c h t e
eintrete. Unzulängliche Menschen, verdorbene Charaktere, Unholdi-
sche Kräfte, tückische Zufälle stellen sich ihr überall entgegen. Keine
Idee ist noch rein und unentstellt, geschweige in voller Wirksamkeit
in die Geschichte eingetreten. Platon und Aristoteles konnten den
Verfall des griechischen Staatslebens durch die Demokratie, Ecke-
harts Mystik konnte die Veräußerlichung des Glaubenslebens nicht
aufhalten. Mozart wurde bis heute nicht verstanden, die Romantik
verraten und verlassen.
Auch auf die Rückverbundenheit des Menschen mit der Ideen-
welt fällt daher der Schatten dieser natürlichen Welt. Das macht, die
Idee kann sich nicht ohne sinnliche Mittel, die der Eingebung an-
gehören, darstellen. Der Sinnlichkeit bleibt aber etwas vom Apeiron
(
άπειρον
),
von Chaos, Finsternis, welche dem Lichte undurchdring-
lich ist. Darum kann keine Weisheit, keine Wissenschaft, keine
Kunst das himmlische Licht der Wahrheit und Schönheit in uns
ungetrübt hervorbringen.
/
Auch die Eingebung kann uns nicht der Finsternis entreißen.
Aber daß sie sei, daß Wissenschaft und Kunst sei und auf dem
Grunde von Liebe und Glauben ruhe, das verbürgt uns die Ver-
bundenheit mit einer höheren Welt. Wir können die Bilder dieses
höheren Seins in uns erwecken, diese in unserem Geiste verborgene,
schlummernde Welt wie im Spiegel wieder schauen. Aber die Ur-
wesenwelt in ihrer Lauterkeit bleibt uns ein Geheimnis.
Ihr wahrer Name dünkt uns: Geisterwelt. Denn nur Person-
Artiges, Kraftvolles, Selbstsetzendes entspricht dem Wesen der
Ganzheit und nur, was als Keim hier aufgehen kann (nicht das
Tote, Abstrakte, Unpersönlich-Allgemeine), vermag der mensch-
liche Geist in sich lebendig werden zu lassen.
Genug, die Sicherheit des Bestandes der Welt der Eingebung als
einer höheren Geistesebene wird durch diese Unvollkommenheit
unseres Wissens von ihr nicht erschüttert.
Siehe oben S. 324.