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innern. Das übersinnliche Bewußtsein muß erst an Lieben, Wissen,

Gestaltung, Handlung und Sinnlichkeit eine vermittelte Bestimmt-

heit erlangen, um zu sich selbst zu kommen.

Weil Andacht, Glaube als rückverbindend mit dem höchsten Be-

fassenden über das Ausmaß des menschlichen Geistes hinausweisen,

bleiben sie ihrer innersten Richtung nach übermenschlich, den

Menschen über sich selbst versetzend, verzückend, ekstatisch. Das

Verzückte kann sich aber, wenn in die gewöhnliche Geisteslage

zurückübersetzt, nicht in sich selbst, sondern erst an einem anderen

vermitteln. Je mehr sich Glaube, übersinnliches Ahnen und Staunen

im Menschen verselbständigen wollen, umso mehr tritt das Ekstati-

sche sichtbar hervor, umso mehr wächst der Mensch in die höheren

Geisteszustände hinein, die man mit Recht mystische, das heißt

geheimnisvolle, nennt und die an das letzte, den u n o f f e n -

b a r e n G e i s t e s g r u n d des Menschen, rühren.

Hieraus versteht man abermals, daß das übersinnliche Bewußt-

sein dem Geheimnis nicht entrissen werden könne. Was den Hin-

weis auf das Unoffenbare, Absolute in sich enthält, kann sich nur

in Zeichen und Bildern erklären. Das schließt religiöse Offenbarung

nicht aus, verlangt sie vielmehr, aber des Sinnbildlichen kann auch

sie nicht entbehren

1

.

Ein Beweis für die tiefen Wurzeln, welche das übersinnliche

Bewußtsein in der Weltstellung des Menschen (nicht etwa in sub-

jektiven Bedürfnissen) hat, ist auch die Fruchtbarkeit, der h o h e

L e b e n s w e r t d e s G l a u b e n s . Ob der Glaube sich be- /

scheiden und das „Unerforschliche schweigend verehren“ will, wie

Goethe versuchte; oder ob er die geschichtliche Offenbarung einer

Religion ergreift und an bestimmtem Wissen und bestimmter Kunst

sich vermittle, stets steht er obenan als Leiter und Bildner. Der

Lebenswert des Glaubens äußert sich darin, daß er Ehrfurcht und

Liebe zu den Menschen vorbereitet und dadurch den Weg zum

Gezweiungsbewußtsein gewaltig frei macht; daß er ebenso die Kraft

und Fähigkeit der Eingebung stärkt und dadurch die Tiefe des Wis-

sens und der Kunst erst ermöglicht; daß er ferner zum Heldentume

befähigt, indem er den Menschen der sinnlichen Ebene, dem Zufalle

entreißt und ihm vom Geheimnisse des göttlichen Lebens mitteilt;

1

Siehe oben S. 29 ff.