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daß er so auch die Geschichte der Menschheit nicht als sinnlosen
Wirrwarr von Schlechtigkeiten und Greueltaten ansehen lehrt, son-
dern Hellsichtigkeit verleiht, die Goldadern des Geistes in ihrem
tauben Gestein zu entdecken — »Der Lobgesang der Mensch-
heit ...“, sagt Goethe in der Einleitung zur Geschichte der Farben-
lehre (1810), „ist niemals verstummt, und wir selbst fühlen ein
göttliches Glück, wenn wir die durch alle Zeiten und Gegenden ver-
teilten harmonischen Ausströmungen, bald in einzelnen Stimmen,
bald in einem herrlichen Vollgesange vernehmen“ —; endlich auch
darin, daß er die Gewißheit eines höheren Lebens der Natur zu fas-
sen vermag.
Der letzte Lebenswert des Glaubens ist, das natürliche Welt- und
Selbstbewußtsein des Menschen immer mehr zu verwandeln, seiner
Weltstellung gemäß mit Ernst und Geheimnis zu erfüllen.
Ohne diese Fähigkeiten ermangelt der Mensch der Kraft, die
Verzweiflung, die ihn im Elende des Lebens überfällt, zu meistern.
„Gott anerkennen, wo und wie er sich offenbart, das ist eigentlich
die Seligkeit auf Erden“, sagt Goethe am Ende seines Lebens.
Wer die Fähigkeiten des Menschen zu lieben, schauend zu wissen
und zu gestalten, begeistert zu handeln, Edles zu wollen / und sich
zu vervollkommnen, sogar sich selbst zu bezwingen und den reinen
Geist über das Unholdische siegen zu lassen in ihrer Wesenheit und
Stufenfolge versteht, die freie Selbsttätigkeit als den Grund von
allem erkennt, der ist auch gerüstet, das übersinnliche Bewußtsein
als Zeichen der Rückverbundenheit mit dem Absoluten zu deuten.
Was ist dieses Übernatürliche, Übergeistige, Absolute?
Darüber Auskunft zu geben ist nicht Sache der Geisteslehre.
Aber soviel folgt doch aus dem Begriffe der Rückverbundenheit:
daß Rückverbundenheit des G e i s t e s mit dem Absoluten wie-
der nur als mit einem nicht Geistesfernen, also Geistartigen, sein
kann. Alles Geistige geht aber auf Persönlichkeit. Das führt uns zu
der Frage nach dem Wesen des Persönlichen und des Überpersönlich-
Absoluten hin.