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tal“ (wie ihm ja jedes Apriori „transzendental“ war). Den Begriff

des Ich entwickelte Kant nicht in voller Schärfe, sondern nur in

schwankender, zurückhaltender Form, nämlich auf bestimmte Er-

scheinungen hinweisend, welche er hauptsächlich dadurch kenn-

zeichnete, daß er sagte, das „Ich denke“ müsse jedes Bewußtsein

begleiten können

1

. Das „Ich“ war ihm aber demgemäß doch auch

keine „Fiktion“ mehr wie den Sensualisten, die es als bloße „An-

sammlung“ von Vorstellungen erklären mußten (Hume), sondern

grundlegende Wirklichkeit

2

.

/

Darin scheint uns das wichtigste Ergebnis der Kantischen Wen-

dung zu liegen: Die Kantische Psychologie war eigentlich nicht mehr

eine „Psychologie ohne Seele“. Denn sie kennt Seelen-„Vermögen“

und sie kennt deren Einheitspunkt, die „transzendentale Apperzep-

tion“. Aber andrerseits muß gesagt werden, daß sie in der Durch-

führung und im Verfahren doch auch noch keine Psychologie mit

Seele ist. Sie schob, wenn ich so sagen darf, die Seele auf einen

letzten Endpunkt der Forschung ab. Die Unsterblichkeit ist denn

auch Kanten kein beweisbarer Begriff, sondern nur ein sittliches

„Postulat“

3

. Endlich erklärte die Kantische Lehre ihre eigene

Arbeit als Erkenntnistheorie, welcher sie eine eigene „Psycholo-

gie“ als ein naturwissenschaftliches Fach, wenigstens der verfahren-

mäßigen Möglichkeit nach, entgegenstellte

4

.

In Kantens späteren Werken, der „Kritik der praktischen Ver-

nunft“ (1788) und der „Kritik der Urteilskraft“ (1790) trat der

übersinnliche Grund des menschlichen Innenlebens zwar stärker

hervor, aber da sie die Vermögen des Handelns und der Urteils-

kraft vom Standpunkte der Sittenlehre und Schönheitslehre aus be-

handeln, konnte die Seelenlehre daraus wenig Vorteil ziehen. Ein

Werk, welches die Einheit aller Vermögen dargestellt und wenig-

stens den in der „Kritik der Urteilskraft“ verkündeten Vorrang

des Willens systematisch entwickelt hätte, ließ Kant nicht mehr

nachfolgen.

Auch in der Einteilung der seelischen Erscheinungen macht sich

diese noch unentschiedene Stellung Kantens bemerkbar. Er unter-

1

Kant: Kritik der reinen Vernunft, Riga 1781, S. 659.

2

Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, Riga 1781, S. 115 f., 126, 129 f.

3

Kant: Kritik der praktischen Vernunft, Riga 1788, S. 453 und 465 ff.

4

Kant: Kritik der reinen Vernunft, Riga 1781, S. 6, 7, 8, 20.