Table of Contents Table of Contents
Previous Page  6529 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 6529 / 9133 Next Page
Page Background

[423/424]

375

Die Wahrheit ist, daß diese letzteren Richtungen auch heute noch

einen vollen Sieg behaupten. Denn der Rückzug von der Assozia-

tionslehre und vom Sensualismus, den die Seelenlehre neuestens er-

strebt — und zwar tun dies hauptsächlich die „K o m p l e x t h e o -

r i e “ u n d d i e „ G e s t a l t p s y c h o l o g i e “ , d i e „ D e n k -

p s y c h o l o g i e“, die „S t r u k t u r p s y c h o 1 o g i e“ —, ist

in Wahrheit nur ein scheinbarer. Wir sind diesen Richtungen

öfters begegnet, und wir mußten sie grundsätzlich zurückweisen

1

.

Die erstere will den Assoziationsgesetzen noch besondere „außer-

sinnliche“ Vorstellungen, ursprünglich „Gestaltqualitäten“ genannt

(man denke an eine Melodie, die mehr ist als die Summe der Töne

;

nämlich Gestalt), hinzufügen; die Denkpsychologie desgleichen noch

zielstrebig determinierende Richtungskräfte

2

und ähnlich die

Strukturpsychologie, die neben das naturgesetzliche „Erklären“ das

„Verstehen“ sinnvoller Gefüge setzen will. Überall wird hier am

naturwissenschaftlichen Standpunkte grundsätzlich festgehalten, ob-

zwar / er doch zugleich durchbrochen werden soll. (Ein gereinig-

tes, naturwissenschaftliches Verfahren verlangt die materialistische

G e h a b e n s p s y c h o l o g i e , Behaviourismus, welche das Ver-

halten als Ergebnis der Wechselwirkung zwischen Organismus und

Umwelt betrachten will.)

Die Folgerung: w e n n e s P s y c h o l o g i e a l s N a t u r -

w i s s e n s c h a f t n i c h t m e h r g i b t , g i b t e s s i e a u c h

n i c h t m e h r a l s s e l b s t ä n d i g e E i n z e 1 W i s s e n -

s c h a f t — wurde von keiner der neueren Richtungen gezogen.

Daher haben diese Versuche die bisherige rein sensualistische und

assoziationstheoretische Ansicht wohl in eine Krise versetzt, aber

sie haben den Sensualismus und sogar den Assoziationsbegriff in

Wahrheit n i c h t grundsätzlich aufgegeben. Sie haben auch die

Einteilung in Erkenntnis, Gefühl, Wille praktisch nicht fallenge-

lassen; sie haben auch, was weiter entscheidend ist, das naturwissen-

schaftliche Verfahren nicht überwunden, sondern halten daran be-

wußt fest. Denn der Übergang von den Versuchen auf Grund der

1

Ohne zu wissen, was „Ganzheit“ bedeutet, nennen diese tief im Naturalis-

mus stedtenbleibenden Schulen neuerdings ihre Lehre auch dreist „Ganzheits-

psychologie“. Ihnen fehlen aber nicht nur die Begriffsmittel zu einer Ganzheits-

lehre, sondern auch die philosophischen Voraussetzungen.

2

Siehe oben S. 58 f. und öfter.