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schaft!) Die Geschichte faßte er, wie später Marx, als eine Kette von

Klassenkämpfen auf. Er wurde 1848 Mitglied der provisorischen Re-

gierung, konnte aber seine Pläne nicht durchsetzen und mußte noch im

Herbst 1848 nach Belgien fliehen. Er war einer der wenigen Sozialisten,

welche bevölkerungstheoretisch auf dem Boden der Malthusischen Lehre

standen.

Der Schriftsetzer Pierre Joseph Proudhon (1809—1865, „Systeme des

contradictions économiques ou Philosophie de la misère“, Paris 1846,

deutsch von K. Grün, „Philosophie der Staatsökonomie oder Notwendig-

keit des Elends“, 2 Bände, Darmstadt 1847, gegen welches Werk Karl Marx

eine Gegenschrift „La misere de la Philosophie“, Paris 1847 erscheinen ließ)

steht zwischen Anarchismus und Sozialismus. „Gott ist böse“, „Eigentum

ist Diebstahl“ (eine Schrift von Proudhon im Jahre 1840 hieß „Qu’est-

ce que la propriéte?“, die Antwort lautete: „La propriété c’est le vol“ —

Was ist Eigentum? Eigentum ist Diebstahl). Proudhon sieht alles Übel

in Zins, Profit und Geld. Er schlägt eine Tauschbank mit bargeldlosem

und zinslosem Güterverkehr vor, die jedem Erzeuger seine Güter gegen

Gutscheine, welche gegen Waren, aber nicht gegen Geld einzutauschen

wären, abkauft beziehungsweise in Pfand nimmt und damit unentgelt-

lich Kredit / gibt („Recht auf Kredit“). Niemand wird dann bei den

Kapitalisten gegen Zins Geld ausborgen, und diesen werde daher schließ-

lich nichts übrigbleiben, als selbst zu arbeiten. Der freie Wettbewerb

bleibt bestehen, wodurch Proudhon eine Einheit von Liberalismus und

Kollektivismus erzielen will, den „Mutualismus“. — Der I r r t u m

Proudhons liegt unter anderem darin, daß er Geld nur als Wertausdruck,

als Rechenpfennig, behandelt, während es in Wahrheit darüber hinaus

ein organisierendes Mittel der Volkswirtschaft, Kapital höherer Ordnung

ist.

Zwischen Sozialismus und ständischer Auffassung der Wirtschaft steht:

K a r l W i n k e l b l e c h (f 1865, schrieb unter dem Decknamen Karl

Mario: „Untersuchungen über die Organisation der Arbeit oder das Sy-

stem der Weltökonomie“, 4 Bände, Kassel 1850/1859), welcher ein föderati-

ves System zünftlerischer Art vorschlug. Der Schneidergeselle Wilhelm

Weitling (geboren 1808 in Magdeburg, f 1871 in New York, „Garantien

der Harmonie und Freiheit“, 1842, Neudruck Berlin 1908), entwickelte

eine kommunistische Lehre, die, wenn auch naiv und verworren, doch

nicht ohne metaphysische Grundlagen ist. Er hatte an der Schöpfung der

deutschen Arbeiterbewegung großen Anteil.

1

Blicken wir auf die Utopisten zurück, so finden wir in den meisten

von ihnen Menschen ohne genügenden Wirklichkeitssinn, verworren,

paradox, platt, ja, was das Schlimmste ist, Materialisten von Gesinnung

und Charakter, aber zugleich Abenteurer oder Sonderlinge. St. Simon

ließ sich von seinem Diener mit den Worten wecken: „Stehen Sie auf,

Herr Graf, denn Sie haben noch große Dinge zu vollbringen“; Fourier

ließ in die Zeitungen eine Anzeige setzen, daß er täglich um 12 Uhr zu

1

Hermann Buddensieg: Die Kultur des deutschen Proletariats im

Zeitalter des Frühkapitalismus, Lauenburg 1923.