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sprechen sei, um Angebote zur Finanzierung der ersten Phalanx ent-
gegenzunehmen, und wartete Jahr für Jahr vergeblich auf den großen
Geldmann. — Aber es lohnt dennoch, das Körnchen Gold aus dem Schutte
herauszusuchen. Diese Schwärmer lehrten immerhin den Blick auf grelle
Schäden richten, sie fanden auch zum Teil neue Wege, wie die Geschichte
des Genossenschaftswesens und des Kredites zeigt. Für sie gilt das
orientalische Sprichwort:
„Um einer Rose willen muß der Gärtner vieler Dornen warten.“
D.
Der Staatssozialismus (Rodbertus)
Als Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus in Deutsch-
land ist Johann Karl R o d b e r t u s - J a g e t z o w anzusehen, der
schon vor Marx und Lassalle auftrat. Er baut auf Ricardo, Proud-
hon, Saint-Simon auf, entbehrt aber nicht echt universalistischer
Züge, insofern ihm auch Fichte und Platon Vorbilder waren.
Rodbertus, ein preußischer Edelmann, lebte 1805—1875. Schriften: „Zur
Erkenntnis unserer staatswirtschaftlichen Zustände“, Neubrandenburg
1842; „Soziale Briefe an v. Kirchmann“, Berlin 1850 f.; „Zur Erklärung
und Abhülfe der heutigen Kreditnot des Grundbesitzers“, 2 Bände, Ber-
lin 1868/69; „Kleine Schriften“, herausgegeben von Moritz Wirth, Berlin
1890.
Den grundlegenden Mangel der kapitalistischen Ordnung sieht Rod-
bertus, in Übereinstimmung mit Ricardos Arbeitswert- und Lohntheorie,
in dem von ihm so benannten „ G e s e t z d e r f a l l e n d e n L o h n -
q u o t e “ , wonach der absolute Anteil der Lohnarbeiterklasse am Volks-
einkommen bei steigender Ergiebigkeit der wirtschaftlichen Gesamtarbeit
beständig bleibt, während die Anteile der Grundbesitzer und Kapita-
listen ständig wachsen; damit wird die Quote der Arbeiter immer klei-
ner, die der Grund- und Kapitalbesitzer immer größer
1
. — Hierin findet
Rodbertus auch die Ursache der K r i s e n (Theorie der Unterkonsum-
tion).
Diesem ungerechten Zustande kann nach Rodbertus nur dadurch ein
Ende gemacht werden, daß Boden und Kapital in das Eigentum des
Staates übergehen (nicht Vergesellschaftung, sondern Verstaatlichung =
„ S t a a t s s o z i a l i s m u s “ ) . Dadurch wird zugleich Kapitalzins und
Grundrente — die nach Rodbertus keine rein wirtschaftlichen, sondern
geschichtliche Kategorien sind — ausgeschaltet und das Recht auf den
vollen Arbeitsertrag verwirklicht. Aber erst eine etwa 500 Jahre lange
Übergangszeit kann zu diesem staatssozialistischen Ideal, und zwar durch
ein „soziales Königtum der Hohenzollern“, führen. Inzwischen sind Re-
formen zu erstreben, die in einem staatlich zu normierenden Lohnsystem
gipfeln. An die Stelle des jetzigen Zeitarbeitstages soll ein „Werkarbeits-
tag“ treten mit staatlich festgesetztem Lohnsatz, der nach Maßgabe der
steigenden Produktivität jeweils erhöht wird. Sowohl der Lohn wie der
Preis aller Waren wird in Normalarbeitsstunden (Arbeitsgeld) festgesetzt.
Und für die Organisation der Landwirtschaft stellt Rodbertus seinen
R e n t e n g r u n d s a t z auf, der in einem Vorschlag des Ersatzes der
1
Zur Kritik siehe oben S. 106 ff.