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Das W i s s e n fordert den klaren Begriff, ohne den kein Den-
ken, daher auch kein religiöser Gedanke möglich ist. Spann nennt es
das innere Licht des Geistes. Wie das Wissen eine Mittestellung ein-
nimmt im Schöpfungsgang des Geistes, so ist der G o t t e s b e -
g r i f f die Mitte jeder Religion. Der Begriff ist nicht eine Ver-
äußerlichung der Eingebung, sondern ihre klarste, ihre ge-wissen-
hafte und darum gewisseste Bestätigung. Der Begriff ist nichts Ge-
ringeres als die auf die Erde heruntergeholte Idee, der Gottesbegriff
daher die ideelle Fleischwerdung des göttlichen Wortes, durch wel-
ches die Welt ihrem Schöpfer immer wieder aufs neue verbunden
wird. Ohne Wissen kein Gottesbegriff, ohne Gottesbegriff keine
Religion. Das Wissen als Geistesstufe ist die vollkommene Entspre-
chung zum Gottesbegriffe als religiöse Kategorie.
In der G e s t a l t u n g erst wird die Rückverbindung von unten
nach oben wahrhaft zum Ziele geführt. Alle Entfaltung meint zu-
letzt Gestaltung. Die Religion sucht und findet sie im G o t t e s -
d i e n s t . Gott dienen heißt im höchsten Sinne, die irdische Ge-
stalt der überirdischen vermählen und sie dadurch zu dieser er-
heben (Transsubstantiation): Verklärung der geistigen Gestalt mit-
tels einer Verklärung der stofflichen und leiblichen. Gottesdienst
ist das eigentlich Religiöse in der Religion, die Vollendung der
Schöpfung durch ihre Bejahung von seiten der Geschöpfe; wie die
Gestaltung die Vollendung der Rückverbundenheit im Schöpfungs-
gang des Geistes.
Das höchste Ziel der Religion im subjektiven Sinne ist die Er-
lösung und schließlich die Heiligung des Menschen. Sie setzt eine
innere Läuterung und Vervollkommnung voraus, diese aber ein
Wissen um seine Unvollkommenheit, ein Bewußtsein der Sünde,
des Gefallenseins, ein inneres Erlebnis von dem Verlust einer einsti-
gen Vollkommenheit. Beides umfaßt das s i t t l i c h e B e w u ß t -
s e i n . Diesem entspricht daher einerseits die Kategorie von Ab-
f a l l u n d S ü n d e , andererseits jene von H e i l u n d E r -
l ö s u n g .
Alles Geistige muß schließlich der Natur seinen Stempel aufzu-
drücken vermögen. Es kann die Natur nicht völlig unter sich lassen.
Es muß in seinem Wirken an den Stoff heran, muß diesen zu sei-
nem Mittel erheben, ja, es muß ihn irgendwie bewältigen, sich sei-
ner bemächtigen. Alles H a n d e l n hat sich am Stofflichen zu be-