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und lediglich durch irgendwelche geheimnisvolle Kräfte zu-
sammengehalten würden, ist willkürlich und erklärt nichts. Denn
aus bloßen Lagerungsverhältnissen kann man nicht neue Eigen-
schaften erklären. Die Erfahrung lehrt ja, daß bei chemischen
Vorgängen ganz n e u e , andere Körper entstehen, deren Eigen-
schaften aus den Anfangsstoffen nicht abgeleitet werden können
Das deutet doch gewiß nicht auf das Erhaltenbleiben der alten
Anfangsstoffe im neuen Körper hin. Allerdings lehrt uns die
Erfahrung, daß an die Stelle des neuen Körpers wieder die alten
Anfangsstoffe treten können (Reduktion). Das heißt aber doch
nur, daß auf die erste völlige Umwandlung, die das Entstehen
eines neuen Körpers bedeutete, wieder eine Rückumwandlung
folgen kann, wobei die früheren Stoffe neu werden. Keines-
wegs berechtigt uns diese Tatsache zu der m e c h a n i s t i -
s c h e n M y t h o l o g i e , wonach Atome und Moleküle im
neuen Körper erhalten bleiben sollen, auch nicht zu sogenannten
„Konstitutionsformeln“, wenn sie nämlich atomistisch-geome-
trischen Sinn haben sollen und mehr als eine genetisch-sinn-
bildliche Darstellung einer chemischen Zusammensetzung aus
Anfangsstoffen sein wollen.
Wer die chemischen Vorgänge unbefangen prüft, wird finden,
daß sie in Wahrheit eine Richtstätte gegen die mechanistische
Be- / trachtungsweise der Natur bilden. Schon das „Äquivalenz-
prinzip“ (Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung) kann
doch in der Chemie nicht mehr im selben Sinne wie in der
Mechanik, sondern nur noch im übertragenen Sinne gelten.
Denn wo soll bei Bildung neuer Stoffe mit ganz neuen Eigen-
schaften überhaupt von Äquivalenz die Rede sein? Sollen die
Eigenschaften der Gase Wasserstoff und Sauerstoff in den völlig
anderen Eigenschaften des Wassers ein „Äquivalent“ finden?
Ebenso gilt doch der Begriff des „Gleichgewichtes“ in der Che-
mie nur in einem anderen Sinne als in der Mechanik. Man ver-
steht in der Chemie unter Gleichgewicht den Zustand, der ein-
tritt, wenn ein Stillstand der Reaktionen erreicht ist, wobei die
Tatsache zugrunde liegt, daß keine chemische Reaktion unge-
stört bis zum Ende (das heißt, bis sämtliche vorhandenen, auf-
einander wirkenden Stoffmengen aufgezehrt wären) verläuft.
Die Tatsache, daß eine chemische Reaktion durch ihre eigenen
Erzeugnisse in ihrem Fortgange gehemmt wird und schließlich