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gerafft, was seine Vorgänger Brauchbares für den Sozialismus boten. In
der Zergliederung des Wirtschaftsvorganges übernimmt er Ricardo und
seine Schule; vom Mehrwert sagt Anton Menger, seine wahren Entdecker
seien „Godwin, Hall und namentlich Thompson“
1
, Aber der eigentliche
Vater ist, so dünkt mich, Ricardos Profitbegriff
2
. Rodbertus hat erklärt,
daß er sich von Marx geplündert finde (besonders in der Arbeitswert-
lehre, Krisenlehre und im entwicklungsgeschichtlichen Standpunkte)
3
.
Die Konzentrationstheorie ist schon bei Pecqueur und Louis Blanc vor-
handen. Hegel sahen wir bereits als den Vater des dialektischen Ver-
fahrens, die Aufklärung mit / ihrer Umweltlehre und den philosophischen
Materialismus Feuerbachs als die beiden Verderber der großen Hegeli-
schen Grundlage. Der Begriff des Klassenkampfes wurde unter anderem
schon von Lorenz von Stein vor Marx verwendet.
So steht es um die Selbständigkeit der Grundgedanken. Wie aber um
ihre innere Natur? Hier gibt es nur eine Antwort: Aus Haß P l a t t -
h e i t ! — Das wahre Genie erschaut das innerste Herz der Wirklichkeit
und wird des Geistigen in Geschichte und Gesellschaft gewiß. Marx aber
erklärte alle Geistigkeit für eine bloße Abhängige des Wirtschaftlichen,
für Klassenwahn, für „Ideologie“. Dagegen höre man Meister Eckehart:
„Zum ersten soll man wissen, daß der Weise und die Weisheit..., der
Gute und die Gutheit... Aug‘ in Auge haften“
4
, das heißt, Weisheit und
Gutheit als objektive Wesenheiten, mithin auch unabhängig von aller
Wirtschaft bestehen. So spricht das wahre Genie, das der Ewigkeit und
geistig-sittlicher V/erte gewiß ist.
Fragt man sich, wie eine Lehre, die so voller Mängel ist, auf die Ar-
beiter aller Völker eine so tiefe geschichtliche Wirkung ausüben konnte,
so wird man den letzten Grund in den schweren S c h ä d e n d e r i n -
d i v i d u a l i s t i s c h e n O r d n u n g und in der rein verneinenden
Stellung Marxens finden, denn der Verneinende hat leicht einen Vor-
sprung vor dem Aufbauenden.
Die vorgebrachten Einwände gegen Marxens wirtschaftliche Lehre
waren wohl Einwände gegen Begriffe, aber zuletzt nicht gegen die Sache:
n i c h t g e g e n d a s E l e n d d e r A r b e i t e r u n d d i e W u r z e l -
l o s i g k e i t i h r e s D a s e i n s , nicht gegen Proletarisierung und
Krise. Die Sehnsucht nach Eingliederung war stärker als begriffliche Kri-
tik. Die individualistische Zeit war auch geistig zu sehr zersplittert und
in materialistische Bahnen geraten, als daß sie einer so geschlossenen
Lehre wie der Marxens hätte Widerstand leisten können. Hätten ein
Feuerbach, Büchner, Moleschott und ihre Nachfahren nicht die klassische
Philosophie aus der deutschen Bildung verdrängt, der Marxismus wäre
niemals so groß geworden, der Kapitalismus auch weniger entartet. So
aber hat Marxens Lehre in der Sozialwissenschaft kraft ihrer Verbün-
1
Anton Menger: Das Recht auf den vollen Arbeitsertrag, 4. Aufl.,
Stuttgart 1910, S. 100.
2
Siehe oben S. 96, 99 f. und 108 f.
3
Anton Menger: Das Recht auf den vollen Arbeitsertrag, 4. Aufl.,
Stuttgart 1910, S. 82.
4
Meister Eckehart: Buch der göttlichen Tröstung, 1.