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197

3.

D i e E n t w i c k l u n g d e r S o z i a l p o l i t i k

geht dahin, über die Heilung einzelner Schäden hinaus zu allgemeinen

Bindungen zu kommen, und ist dadurch genötigt, diesen mehr und mehr eine

k ö r p e r s c h a f t l i c h e F o r m zu geben, wodurch sie schließlich

unbewußt zu einer s t ä n d i s c h e n O r d n u n g der Wirtschaft hindrängt.

So z. B. standen am Anfange der Sozialreform Einzelbestimmungen über die

Sonntagsruhe und Arbeitszeit, später schuf man große Selbst- /

verwaltungskörper zur Durchführung der Zwangsversicherungen; anfangs

verbot man das Trucksystem, jetzt läßt man die Arbeiterverbände mit den

Unternehmerverbänden Kollektivverträge, die schon von ständischer Art sind,

abschließen

1

.

4.

Die t h e o r e t i s c h e M ö g l i c h k e i t d e r S o z i a l - u n d

W i r t s c h a f t s p o l i t i k

Vom Standpunkte der individualistischen Volkswirtschaftslehre ergibt

sich die Frage: in welchem Sinne Sozialpolitik und Wirtschaftspolitik

überhaupt möglich sei? Nach der alten wie nach der neuen klassischen

Lehre (Menger, Cassel und andere) werden die Preise durch „exakte“,

mechanische Gesetze gebildet; und auf diese „Naturgesetze“ baut sich die

Verteilung, also insbesondere die Lohnbildung, um die es sich bei der

Sozialpolitik vor allem handelt, auf. Böhm-Bawerk prägte für dieses

theoretische

Problem

das

Schlagwort

„ M a c h t

o d e r

ö k o n o m i s c h e s G e s e t z ? “

2

.

Vom Standpunkte der alten wie der neuen liberalen Schule kann danach

kein sozial- und wirtschaftspolitischer Eingriff in die Preisbildung und

Verteilung auf die Dauer Erfolg haben. Daher auch die Individualisten die

Lehre vom „falschen Zirkel“ der Sozialpolitik aufstellen, wonach durch sie die

Waren teurer würden, was die zusätzliche Kaufkraft des Arbeiters wieder

aufzehrte; oder lehren, daß die Wertzuwachssteuer vom Käufer getragen

würde und dadurch in den Preis einginge und dergleichen mehr. Jüngst sagte

ein englischer Schriftsteller, daß jeder Versuch, gegen das Gesetz von Angebot

und Nachfrage anzukämpfen, hieße, „ d e n M o n d a n b e l l e n “

3

!

Böhm-Bawerk sagt, „daß sich der Einfluß

1

Vgl. mein Buch: Der wahre Staat, 4. Aufl., Jena 1938.

2

Vgl. Eugen von Böhm-Bawerks Aufsatz unter diesem Namen in der

Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung, Bd 23, Wien

1914. Grundlegend dafür: Carl Menger: Untersuchungen über die Methode

der Sozialwissenschaften und der politischen Oekonomie insbesondere,

Leipzig 1883.

3

Vgl. Hubert Henderson: Angebot und Nachfrage, aus dem Englischen

von Melchior Palyi, Berlin 1924, S. 17,