198
[173/174]
der Macht nur innerhalb der ökonomischen Preisgesetze [gemeint ist der
Spielraum innerhalb der „Grenzpaare“
1
] geltend machen kann“
2
.
Die geschichtliche Schule hinwieder, welche den Kern der sozialrefor-
matorischen Richtung verkörpert, gibt sich über diese theoretische Frage
nirgends strenge Rechenschaft und arbeitet dadurch praktisch mit der
einfachen Annahme, daß die öffentlichen E i n r i c h t u n g e n (wie Ar-
beiterschutzgesetze, Bauordnungen usw.) ohne weiteres die Macht haben
werden, die gewünschten Änderungen in Preis und Verteilung zu erzielen.
Obwohl praktisch der liberalen Schule überlegen, zeigt sich hier theoretisch
die geschichtliche Schule wehrlos und setzt sich wissenschaftlich ins Unrecht.
Nach der Lehre des Verfassers dieses Buches ist Sozial- und Wirt-
schaftspolitik grundsätzlich möglich. Die Wirtschaft ist ein G l i e d e r b a u /
d e r M i t t e l , und dieser Gliederbau hat zwar seinen ideell eindeutigen
Zusammenhang, seine Ratio, ähnlich wie die Glieder einer Schlußkette einen
eindeutigen Zusammenhang haben. Aber gerade darum ist die Wirtschaft
durch U m g l i e d e r u n g zu ändern: Es k a n n a u s e i n e r u n r i c h t i g
a u s g e g 1 i e d e r t e n W i r t s c h a f t e i n e r i c h t i g
a u s g e g l i e d e r t e g e m a c h t w e r d e n , das heißt, es können die
wirtschaftlichen Mittel wieder den gesellschaftlichen Zielen untergeordnet
werden; ferner können aber auch durch Änderung der Ziele die Leistungen
der Mittel geändert werden. Wenn man z. B. durch Steuern und
Antialkoholbewegung
erzwingt,
daß
die
Brauereien
sich
in
Marmeladenfabriken verwandeln, so hat man durch Veränderung der
Erzeugung auch die V e r ä n d e r u n g d e r V e r t e i l u n g d e s G e -
s a m t e r z e u g n i s s e s bewirkt. Ähnliches geschieht bei Einführung einer
Zwangsversicherung, durch die gewisse Teile des Gesamteinkommens (je nach
Verwendung des angesammelten Versicherungskapitals) anderen Zwecken
zugeführt werden. Die Wirtschaft wird dann vielleicht weniger neue Fabriken
bauen, aber mehr für Krankenpflege und dergleichen ausgeben, dadurch aber
wieder ihren Leistungsbau ändern. — Der Grundirrtum der liberalen Schule
ist, die Volkswirtschaft nur von der Preisbildung her zu betrachten und diese
als nach kausal-mechanischen N a t u r g e s e t z e n vor sich gehend
anzusehen. Der Preis ist aber nur A u s d r u c k des Gliederbaues der
Wirtschaftsmittel, nur Anzeiger oder Index, keineswegs die ursprüngliche
Erscheinung. Außerdem kommt es nicht auf den absoluten Reinertrag
(Geldpreis), sondern auch darauf an, in welchem Verhältnis er zu den
Zwecken des Staates und der Kultur stehe. Auch das verkennt die reine
Eigennutzlehre.
Es sind also alle jene wirtschafts- und sozialpolitischen Beeinflussungen
der Wirtschaft dauernd möglich, die mit den Sacherfordernissen ihres
Gliederbaues und mit den Erfordernissen seiner Umgliederung in Einklang
stehen. Dadurch kann auch ein unrichtiger Gliederbau in einen richtigen
verwandelt werden, und ebenso ein unrichtiger Preisausdruck
1
Siehe unten S. 202.
2
Eugen von Böhm-Bawerk: Macht oder ökonomisches Gesetz? In:
Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung, Bd 23, Wien
1914, S. 218.