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Die Produktivitätslehre ist am meisten verbreitet und besonders durch
Thünen ausgebildet. Gegen ihren Grundgedanken, daß die mit Kapital
unterstützte Arbeit eine größere Menge / von Erzeugnissen erziele, w e n d e t
B ö h m - B a w e r k e i n : So werde wohl die s t o f f l i c h e Mehrergiebigkeit
des Kapitalgebrauches erklärt, aber nicht die Mehrerzeugung von Werten,
nicht auch ein höherer Wert der Erzeugnisse, in welchem allein der Zins
enthalten ist. Warum ist denn, so fragt er, das Kapitalstück nicht so viel wert
als das erwartete Erzeugnis selbst? — da doch nach der Grenznutzentheorie
das Kapital oder Kostengut seinen Wert von den Früchten empfängt
1
; warum
denn weniger, so daß das Kapital p r o d u k t höheren Wert hat und mithin ein
Zins entsteht?
Dieser Einwand (der übrigens mit Ricardo zusammentrifft
2
) ist deswegen
hinfällig, weil Mengers Kostenbegriff, der die Kosten als selbständiges Element
nicht gelten läßt, selber unrichtig ist. Ein Wertüberschuß bei gestiegener
Fruchtbarkeit ist sehr wohl möglich, aber allerdings nur die Voraussetzung
dafür, daß ein Zins gezahlt werden kann, noch nicht der wirksame Grund
dafür, daß er gezahlt wird. Es fragt sich aber, warum gerade für die Leihe des
Kapitals etwas gezahlt wird? Daher sucht die universalistische Lehre des
Verfassers einen arteigenen Grund für den Leihzins n e b e n der
Kapitalsfruchtbarkeit als solcher (die nur V o r b e d i n g u n g bleibt). Nach
der u n i v e r s a l i s t i s c h e n A u f f a s s u n g liegt der Grund des Zinses
(1)in jener n e u e n F r u c h t b a r k e i t , die durch Stiftung einer neuen
Wirtschaftsgemeinsamkeit (das heißt Wirtschaftserweiterung) mittelst des
Kredites entsteht
3
;
(2)in der V o r r a n g s t e l l u n g der hinausleihenden vor der herein-
leihenden Wirtschaft, allgemein: des Kredites vor der Erzeugung, deren Leiter
der Kreditgeber in gewissem Sinne wird.
Kapitalzins für Verbrauch beruht dagegen auf einem Wirtschaftsfehler.
Die mittelalterlichen Zinsverbote hatten den guten Sinn, teils diesen
Wirtschaftsfehler zu verhindern, teils das Entstehen kapitalistischer
Wirtschaftsformen zu erschweren.
XII. Die gegenwärtige Volkswirtschaftslehre
4
A.
Einige neuere Richtungen
1. D i e r e a l i s t i s c h - b e s c h r e i b e n d e R i c h t u n g
Eine Fortbildung der neueren geschichtlichen Schule ist die
1
Siehe oben S. 202 f.
2
Siehe oben S. 99 f.
3
Siehe oben S. 45 ff.
4
Vgl. dazu E d g a r S a l i n : Die deutsche volkswirtschaftliche Theorie
im 20. Jahrhundert, in: Zeitschrift für schweizerische Statistik und
Volkswirtschaft, Bd 57, 1, Bern 1921. — T h e o S u r á n y i - U n g e r : Die
Entwicklung der theoretischen Volkswirtschaftslehre im ersten Viertel des 20.
Jahrhunderts, Jena 1927, englische Ausgabe New York 1931. — Vgl. auch
meinen Vortrag: Die Krisis in der Volkswirtschaftslehre, München 1930.