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als von der „sozialen Form“ bestimmt dar. Soziales Leben ist nach Stammler
„geregeltes“, „geformtes“ Leben. Hecht sei die F o r m , Wirtschaft der
I n h a l t des sozialen Lebens. Das V e r f a h r e n der Volkswirtschaftslehre sei
infolge
dieser
bestimmenden
Bedeutung
der
Rechtsordnung
normativ-teleologisch. Es konnte danach keine von der Rechtsordnung
unabhängige Wirtschaftsgesetze, sondern nur geschichtlich-rechtliche
Kategorien geben. Stammler führte damit zum ersten Male neu- kantische
Gedanken in die Rechtslehre, mittelbar auch in die Wirtschaftslehre ein.
4.
Die n e u l i b e r a l e R i c h t u n g
Daß es eine neuliberale Richtung überhaupt noch gibt, trotzdem sich
alle Schulen Ricardos theoretisch als unfruchtbar erwiesen, ja daß sie noch
nach 1918 in Deutschland mächtig vordrang, ist der deutlichste Beweis
dafür, wie sehr unsere Wissenschaft noch die Sprache des 18. Jahrhunderts
spricht.
Neuliberal ist die Grenznutzenlehre
1
. — Außerhalb der Grenznutzenlehre
trat nach dem Ersten Weltkriege hervor: der Schwede G u s t a v C a s s e l
2
,
dessen Lehrbuch im Reiche großen Einfluß gewann und der ohne Werttheorie
von dem „Knappheitsprinzipe“ aus auf mathematischem Wege die
Preisbildung durch ein Gleichungssystem zu erklären unternimmt. Die
Casselischen Gleichungen vermitteln aber keine Erkenntnis, sondern drücken
nur jenen allgemeinen Zusammenhang zwischen Angebot und Nachfrage
einerseits und dem Preise andererseits aus, der schon vorausgesetzt wird. Diese
Gleichungen sind Tautologien. — F r a n z O p p e n h e i m e r suchte mit
einem „liberalen Sozia- / lismus“ eine vermittelnde Stellung einzunehmen
3
. —
A d o l f W e b e r (München) versucht seine liberale Theorie, die in allen
Hauptpunkten Ricardo folgt, mit Thomismus zu verbinden. — Von Früheren:
H e i n r i c h D i e t z e l
4
. — Zwiespältig erscheint A l f r e d A m o n n s
Stellung zu Ricardo. Einerseits trat er als sein schärfster Kritiker auf
5
,
andererseits fordert er dennoch Rückkehr zu ihm. In seiner
„Volkswohlstandslehre“ (1926) will er die alte formale Tauschtheorie noch
retten und neben die universalistische Lehre des Zusammenhanges von Mittel
und Ziel stellen. — Dazu J o s e p h A l o i s S c h u m p e t e r , F r i e d r i c h
A . v o n H a y e k , W i l h e l m R ö p k e
6
und die Grenznutzler.
Uber die neuere abstrakte Richtung oder „reine Theorie“ siehe oben Seite
188.
1
Siehe oben S. 206.
-
Gustav Cassel: Theoretische Sozialökonomie (1918), 5. Aufl., Leipzig
1932.
3
Vgl. Alfred Amonns Kritik über Oppenheimer in der Zeitschrift für
Volkswirtschaft und Sozialpolitik, Bd 5, Wien 1925. — Vgl. oben S. 206.
4
Heinrich Dietzel: Theoretische Socialökonomik, Leipzig 1885.
5
Alfred Amonn: Ricardo als Begründer der theoretischen National-
ökonomie, Jena 1924; Grundzüge der Volkswohlstandslehre, Bd 1, Jena 1926.
6
Siehe oben S. 188.