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[207/208]

wenn Hermes als der S o h n d e s e k s t a t i s c h e n B a k c h o s u n d d e r

d u n k l e n P e r s e p h o n e

1

— oder auch als Vater des B a k c h o s - D i o n y -

s o s aufgefaßt wird; ebenso, wenn er den Bakchos als Kind auf seinen Armen

trägt. D e n n D i o n y s o s i s t H e r m e s s e l b s t , a b e r a u f n i e d e r e r

S t u f e , d e r N a t u r s t u f e , das heißt die Ekstase ins Chthonische gewen-

det. Das entspricht den zwei Hauptformen der Ekstase, einer geistigen, schöpfe-

rischen (daher Hermes-Dionysos auch als Weltschöpfer erscheinen) und einer

dämonischen, mit Raserei verbundenen.

Wieviele andere Züge aber auch noch der Urgestalt des Hermes hinzugefügt

worden sein mögen, von denen hier ebensowenig wie von Wotan und Soma alle

berührt werden können, das r e l i g i ö s e S u b s t r a t l i e g t u n m i t t e l -

b a r i n d e r m y s t i s c h - m a g i s c h e n E k s t a s e s e l b s t . Außer

allem, was sich schon ergab, spricht dafür auch seine Bedeutung als M y s t e -

r i e n g o t t

2

. Diese, sowie die anderen mystisch-magischen Züge können vor-

nehmlich als solche des älteren, ursprünglichen Glaubens angesehen werden

3

. /

Daß Dionysos nur Hermes auf der Naturstufe sei, beweisen unter anderem

seine Begleiter Satyrn, Silene und Nymphen, sämtlich Naturgestalten; darauf

deutet aber auch der Wein — Naturrausch an Stelle des mystischen Rausches —

als Symbol des Dionysos hin.

Ein weiterer Beweis dafür, daß die ursprünglichen hohen Götter dem geistigen

und nicht dem natürlichen Kosmos angehören, ist uns die Gestalt der A t h e n e .

Bei ihr bewährt sich auch die Erklärung der Vielseitigkeit der Götter aus den

gleichzeitig vielfachen Verrichtungen jedes Gliedes des geistigen und stofflichen

Kosmos. Athene ist ursprünglich nichts anderes als die mystische Erkenntnis,

der Gedanke, allerdings nicht der abstrakte Gedanke diskursiven Wissens, son-

dern der aus ekstatischen Zuständen folgende intuitive, aus der Berührung mit

der Ideenwelt stammende, welcher auf die Zustände der Welt erst angewendet

und so diskursiv wird.

Dagegen wenden sich nun allerdings entschieden die Bedenken der heutigen

Philologie, welche eine solche Deutung nur als Frucht später, philosophisch-theo-

logischer Spekulation gelten lassen will und auf den viel älteren Ursprung der

Göttin verweist. Die Göttin, sagt man, weise über das Griechische hinaus, sie

sei mykenischen Ursprungs. Eine bemalte Stuckplatte aus Mykene zeige die Göt-

tin hinter einem Riesenschild, rechts und links von ihr zwei Frauen, die sie

verehren. Könnte sie darnach Schildjungfrau, Schlachtenjungfrau sein? Die Ho-

merische Auffassung sei das jedenfalls nicht

4

.

Wie aber, wenn sich gerade und nur aus der Auffassung der Göttin als dem

mystischen Gedanken ihre ganze Stellung und ihre vielseitigen Verrichtungen

erklären lassen? Wir meinen auch, hier ein besonders deutliches Beispiel dafür

vor uns zu haben, wie die Sucht, alles aus einer niederen Entwicklungsstufe zu

erklären von der Wahrheit abführt. Schon Platon sagt im Kratylos

5

, Athene sei

1

Samson Eitrem: Artikel Hermes, in: Paulys Realenzyklopädie der klassi-

schen Altertumswissenschaft, Bd 8, Stuttgart 1893, S. 261.

2

Samson Eitrem: Artikel Hermes, in: Paulys Realenzyklopädie, S. 776 f.

3

Samson Eitrem: Artikel Hermes, in: Paulys Realenzyklopädie, S. 789 f.

4

So Walter Otto: Die Götter Griechenlands, 2. Aufl., Frankfurt am Main

1934, S. 55, wo auch weitere Literaturhinweise.

5

Platon: Kratylos, 407 b und später.