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„Geist und Gedanke“ (nous kai dianoia), und sollte er es nicht besser gewußt

haben? Er sagt auch

1

, daß A t h e n e u n d H e p h a i s t o s von Natur zusam-

mengehören — die mystische Schau und das Lichterlebnis (mystische Feuer). Ge-

wiß, Platon ist ein später Philosoph, aber was uns viel mehr bedeutet: er ist

Mystiker und kennt daher die mystische Herkunft der hohen Göttergestalten.

Ferner: Athene nimmt dem Diomed den Nebel von den Augen

2

.

Wieder stößt uns hier, wie schon früher auf: Das mystische Erlebnis ist Selbst-

erkenntnis, Erkenntnis des eigenen Geistes des Menschen. Selbsterkenntnis voll-

zieht sich in der Gotteserkenntnis und ist logisch vor Welterkenntnis, und zwar

in dem Sinn, daß ohne die intuitive Erkenntnis des eigenen Wesens des Geistes,

oder anders gesagt des Selbstbewußtseins, auch nicht die sinnliche Welterfahrung

und noch weniger die Göttlichkeit der Welt eine Deutung finde. Nur im

m e n s c h l i c h e n G e i s t l i e g t d e r S c h l ü s s e l d e r W e l t . Der

menschliche Geist ist Mikrokosmos. Er ist aus der göttlichen Quelle geschöpft

und nur von ihm aus sind die geistigen, das ist göttlichen Kräfte der Welt ver-

ständlich sowie auch die Welt selbst in ihrer Sinnlichkeit.

/

Auf den Gedanken deutet bei Athene auch mit aller nur wünschenswerten

Entschiedenheit der mit der Göttin stets verbundene Beiname „Metis“, welcher

Einsicht, Rat, Klugheit, Sinn, Gedanke heißt. Demgemäß auch ihr Ursprung. Sie

ist aus dem Haupte des Zeus gewappnet, das heißt fertig entsprungen, wie es

dem göttlichen (ekstatischen) Gedanken geziemt. Ja, dieser Ursprung wird, wenn

wir so sagen dürfen, verdoppelt oder doppelt begründet. Denn mit der Göttin

Metis soll Zeus sie erzeugt, noch vor der Geburt aber die schwangere Mutter

verschlungen haben, worauf, als die Zeit reif war, er selbst die Tochter aus dem

Scheitel seines Hauptes geboren habe. Homer erwähnt von Metis nichts und

der achtundzwanzigste Homerische Hymnus sagt ebenfalls nur, daß der Meister

der Einsicht, Zeus, „ganz allein sie geboren habe aus seinem heiligen Haupt“.

Der mystische, intuitive Gedanke erscheint dann auf den t i e f e r e n S t u -

f e n wieder:als Einsicht, das ist als diskursiver Gedanke und schließlich in seiner

praktischen Anwendung als R a t , E r f i n d u n g u n d A r b e i t s k u n s t

(Technik).

Hiermit ist der Grund zu der der Göttin Athene eigenen vielfachen Glied-

haftigkeit gelegt. Darum ist sie abgeleiteterweise auch Kampfgöttin

3

.

Den t i e f e r e n S t u f e n u n d n a c h t r ä g l i c h e n F o l g e r u n g e n

s o w i e ä u ß e r e n Z u t a t e n gehört es an, wenn die Göttin des intuitiven

Gedankens auch die Schutzgöttin des Landbaues, die Schenkerin des Ölbaumes

und die Göttin aller technischen Künste und Handwerke überhaupt wird, beson-

ders auch der Webekunst und des Schiffbaues, wodurch sie abermals (sekundär)

mit Hephaistos, dem technischen Künstler, zusammenhängt. Wissen ist Macht,

darum ist sie auch die Städteschützerin, Verteidigerin der Mauern, Burgen und

Häfen, sogar Meeresbeherrscherin; sie baut mit Jason das erste große Schiff. Ins

Mystische lenkt dagegen der Mythos wieder ein, wenn sie dem Bellerophon den

Pegasus zu bändigen hilft, indem sie ihm einen goldenen Zügel schenkt

4

; sie ist

1

Platon: Kritias, 109 c.

2

Platon: Alkibiades, 2, 150 d.

3

Hesiod: Theogonie, 924 ff.

4

Pindar LI., 13, 65 ff.