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desten dem naiven Bewußtsein. Ja, man kann sagen: Ohne jede

Naturbeseelung und ohne jeden Glauben an geistig-sittliche Mächte

gibt es für die Menge nur schwer eine das Leben durchdringende

Religion, eine Religion als L e b e n s m a c h t .

Ein Beispiel statt tausender biete der „Philoktet“ des Sophokles,

welcher nach langem Aufenthalt auf einer einsamen Insel von Erde,

Wasser, Nymphen Abschied nimmt.

„Philoktetes: Wohlan denn! Scheidend begrüß’ ich die Erde,

Leb wohl, mein Felsdach, das mich geschirmt,

Ihr N y m p h e n d e r B ä c h e , d e r A u ’ n , lebt wohl,

Und o mächtig am Vorberg brandende See,

Wo die Wasser, erregt von den Stößen des Süds,

Oft netzten mein Haupt, in dem Winkel der Kluft.

Wo den klagenden Laut, wann wild auf mich

Einstürmte der Schmerz, der hermäische B e r g

Im Rückhall oft mir herübergesandt!

Ihr Brunnen umher und A p o l l o n s Quell ,

Ich verlaß euch nun, ich scheide von euch,

Der nie so Kühnes zu hoffen gewagt.

Mein Lemnos, umflutetes Land, leb’ wohl,

Und in glücklicher Fahrt send’ harmlos uns

Hin, wo das gewaltige S c h i c k s a l führt

Und der Freunde Geheiß und des G o t t e s Gewalt,

Der dies allmächtig verhängte!

Der Chor: Nun laßt uns alle vereint hinzieh’n,

Nachdem wir gefleht zu den Nymphen des Meers,

Als Hüter die Fahrt zu geleiten“

1

!

Indessen fehlt es dem Polytheismus nicht an Schatten. Das

schlimme Übel der mythologischen Religionen ist:

1.

daß sie an den niederen Mächten der Natur und des Lebens

h ä n g e n / b l e i b e n , wodurch sie das ganze Leben zu d ä m o -

n i s i e r e n vermögen. Und dieses Hängenbleiben bedeutet

2.

daß sie darüber die mystischen Urwahrheiten des e i n e n Got-

tes und der Teilnahme des gottverwandten Menschen an seinem

göttlichen Leben vernachlässigen, ja vergessen können;

3.

daß sie infolge eben dieses Hängenbleibens an den mittleren

und niederen Mächten ins Uferlos-Magische, ins Willkürliche, Aber-

gläubische und gar ins Abstruse geraten.

1

Sophokles: Philoktetes, übersetzt von Johann Jakob Donner, herausgegeben

von Gotthold Ludwig Klee, Leipzig 1912, Z. 1452 ff.