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E. Die S i n n e s e m p f i n d u n g

Nach herrschender Lehre kommt die Sinnesempfindung aus-

schließlich durch stoffliche Vorgänge zustande: durch die Einwir-

kung der Reize auf die Sinnesorgane, die Sinnesnerven und die zu-

gehörigen zentralen Zentren. Dieser Auffassung entspricht dann

entweder der offene Materialismus, den man aber heute nicht mehr

gerne eingesteht, oder der sogenannte psycho-physische Parallelis-

mus. In beiden Fällen sind die physikalisch-chemischen Vorgänge

die „unabhängige Variable“, die Empfindungen die „abhängige

Variable“. Parallelismus und Materialismus kommen also, mathe-

matisch ausgedrückt, auf dasselbe hinaus.

So sehr nun die Erforschung der physiologischen und physika-

lisch-chemischen Vorgänge zu fordern ist, so hoch auch ihre Er-

gebnisse zu schätzen sind, so wenig können die materialistischen

Folgerungen, kann überhaupt die rein stoffliche und positivistische

Auffassung der Sinnesempfindung gebilligt werden.

Die erste Voraussetzung für eine nicht-materialistische Einstel-

lung ist die Erkenntnis, daß es sich bei der Physik und Chemie der

Sinnesphysiologie nur um V o r b e d i n g u n g e n der Empfindung

handle, die Empfindung selbst aber durch g e i s t i g e Tätigkeiten

zustande komme! Nach Fichtes grundlegender Erkenntnis ist alles

Bewußtsein: Selbstsetzung und Selbstentgegensetzung (Objektivie-

rung) — Vorgänge, die der Natur entzogen sind, die auf anderer

Ebene ablaufen! D i e s e G e i s t e s t ä t i g k e i t i s t a u c h b e i

d e r E m p f i n d u n g u n e n t b e h r l i c h . Zum Beispiel hört

der in Gedanken Versunkene die Uhr nicht schlagen: Er muß sich

die Empfindung / selbst entgegensetzen (objektivieren), um

ihrer inne zu werden; durch „Wiedererkennen“ und andere Gei-

stestätigkeiten wird die Empfindung erst zur Wahrnehmung. Die

stofflichen Vorgänge hierbei sind immer nur stoffliche, nicht selbst

schon geistige — also unbedingt nur V o r b e d i n g u n g e n (mit-

telbar auch Anregungen) der Geistestätigkeiten, keineswegs diese

selbst.

Wie überaus wichtig diese leiblichen Vorbedingungen tatsächlich

sind, soll nicht übersehen werden; am klarsten beweisen das außer

den Erkrankungen der bezüglichen Organe und Nerven die Taub-

stumm- und Blindgeborenen, denen der größte Teil unserer Natur-