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Diese Einsicht fehlt nicht nur dem Empirismus und Positivismus
jeder Art und Farbe, sie fehlt auch dem Neukantianismus. Er läßt
zwar die Kategorien beim Denken in Geltung treten und verlegt so
das Denken richtigerweise auf eine höhere Ebene, aber dies geschieht
bei ihm erst auf G r u n d der Empfindungen. Woher aber diese?
Daß die Empfindungen selbst die „apriorische Anschauungsform
Raum und Zeit“ zu ihrer Voraussetzung haben, ist kein Ersatz da-
für, daß sie ihm o h n e D e n k e n zustande kommen. In diesem
zuletzt entscheidenden Punkte steht daher der Neukantianismus
samt den von ihm ausgegangenen Richtungen, auch der sogenannten
Phänomenologie, auf demselben Standpunkte wie der Sensualismus!
Das Denken ist ihnen allen nicht B e d i n g u n g der Empfindung,
sondern diese ist vielmehr Bedingung dafür, entweder daß aus blo-
ßem Vorstellungsverlauf Denken werde, oder dafür, daß das Apriori
des Geistes in Geltung trete und es so zum Denken komme.
In Wahrheit kann, wie betont, erst die d u r c h D e n k e n
z u s t a n d e g e k o m m e n e Sinnesempfindung das Denken wei-
terhin vermitteln, anregen, ihm Stoff und Werkzeug darbieten. Das
Denken wird stets von der Empfindung vorausgesetzt.
Es ist ein durch die ganze Welt hindurchgehendes / Gesetz, daß
nur das Niedere aus dem Höheren, niemals aber das Höhere aus dem
Niederen hervorgehe: das Niedere macht dem Höheren Grund, das
Höhere belebt das Niedere.
Wie soll es aber eine Zeit, die den Menschen um jeden Preis von
den Tieren abstammen lassen möchte, vermeiden, das Denken von
der Sinnesempfindung abstammen zu lassen? Sie versteht es nicht,
daß die Sinnesempfindung dem Denken nur G r u n d z u m a -
c h e n imstande sei und daß diese selbst ohne das Denken gar nicht
zustande kommen könne (Die tierische Sinnesempfindung ist daher
auch nicht dieselbe wie die menschliche und mehr unseren Instinkt-
spürungen zu vergleichen!).
Durch die Sinneswahrnehmung nehmen wir am Inneren der Na-
tur teil, aber sie, die Wahrnehmung selbst, steht schon unter der Be-
dingung des Denkens; durch die Eingebung erwecken wir die trans-
zendente Welt in uns und verbinden sie mit unserer Naturerfah-
rung. Das Denken bringt uns den Himmel auf die Erde herab und
dadurch Licht in den menschlichen Geist — aber das hält eine ver-