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zubringen. Das nichtlehrgeschichtliche Verfahren, das der natur-
wissenschaftlich-technische Hochmut der neueren Zeit in unsere
Wissenschaft gebracht hat, schließt eine Mißachtung der geistigen Arbeit
vor uns in sich, erzieht zur Eigenbrötelei und zuletzt zum Pfuschertume.
Hier ist es, wo Goethes Wort gilt: „Original, fahr hin in deiner Pracht!“ und
Grillparzers Sprüchlein:
„Ist der Verstand doch ewig e i n s In
allen, die da sind und je wurden,
Doch Eigentümlichkeit hat breiten Platz Im
ganz Verkehrten und Absurden.“
Man soll aber auch nicht, wie wir wiederholt bemerkt haben, ins
Gegenteil verfallen, alles lesen zu wollen, und allzu ängstlich sein. Solchen,
die dazu neigen, sei gesagt, daß man auch einmal mit den Vorbereitungen
Schluß machen müsse! Man beginne selbst zu arbeiten, sobald man spürt,
daß man im ganzen innerlich gerüstet sei.
D.
G e i s t i g e S a mm l u n g u n d V e r s e n k u n g
„Nimm alle Kraft zusammen, die
Lust und auch den Schmerz.“
(Uhland)
Nie ist etwas Großes geschaffen worden ohne vollkommene Zu-
sammenfassung aller Kräfte auf den e i n e n Punkt, auf den / es ankam, nie
ohne jene vollkommene geistige Sammlung, die zuletzt zur Versenkung
führt.
Das Geheimnis allen geistigen Schaffens ist die Sammlung. Nur wer
sich in stillen Stunden seiner Arbeit in den Stoff mit vollkommener
Hingabe versenkt, kann Eigenes sehen, kann Schöpferisches leisten.
Solche köstliche Frucht geistiger Arbeit muß aber lange und im stillen
reifen.
Versenkung gleichsam aus dem Stegreif ist so unmöglich wie schnelle
Langsamkeit oder langsame Schnelligkeit.
Die V o r b e d i n g u n g ist daher, daß der Geist seinen Gegenstand
bereits wohl kenne und meistere, daß er durch langen Umgang mit ihm
ganz und gar, auch unbewußt, davon erfüllt sei, und daß er — was zuletzt
dasselbe ist — eine glühende Teilnahme für ihn, eine glühende Liebe für
ihn fasse. Was man nicht liebt, kann