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schen Hirngespinste vom Eigennutz dagegen wie armselig leere Schemen

zerflattern. Was die Volksmenge ist und will, das steht für ewig auf jedem

Blatt von Shakespeares Dramen. Jeder gotische Dom ist ein getreues Abbild

der religiösen Kräfte eines Volkes. Zugleich erzieht die eigene Kunst am

besten zum rechten völkischen Stolz, die Kunst fremder Völker und Zeiten

am besten zu wahrem Weltbürgertum. — Ein wissenschaftlicher Forscher,

der in künstlerischen Dingen nicht eine gewisse Höhe erreicht hat, wird

Großes niemals leisten. Er verfällt allzu leicht dem Kleinkram, der

Wissenschaft des nicht Wissenswerten.

Man muß sich immer g a n z einsetzen, g a n z in einen Gegenstand

vertiefen. Wer nur Halbes gibt oder im Fluge die Wahrheit zu erhaschen

glaubt, wird sie nie erlangen. Man spricht oft von der „unbewußten“ Art, in

der Künstler und Forscher ihre Einfälle erlangen. Daran ist so viel richtig,

daß Einfälle und Intuitionen in den Stunden der Versenkung von selbst

kommen. Aber dennoch waltet hier ein gefährlicher Irrtum. Der Forscher,

der zu neuen Wahrheiten gelangt, „ f i n d e t “ sie eigentlich nicht, sondern

er bringt sie hervor, indem er — wenn diese Ausdrucksweise erlaubt ist —

sie gleichsam früher hervorgebracht hat: Er hat die Wolke in sich an-

gesammelt, aus welcher der Blitz der Eingebung herausfährt. Die neuen

Wahrheiten sind gleichsam nicht seine Gedanken und unverdienten

Einfälle, sondern seine Werke. Unverdiente Einfälle gibt es nicht, und was

so scheint, sind verborgen ausgereifte, aus dem Tiefsten des Wesens /

hervorgebrachte, mit allen Kräften der Seele längst gesuchte Lösungen. Das

heißt es, wenn Platon spricht: θεός δεί γεωμετρί (Gott konstruiert immer),

denn alles Schaffen ist von gleicher Art.

E.

B e s c h r ä n k u n g

Manche schaden sich durch die Überfülle des Erstrebten, sie kommen

von einem ins andere, vom Hundertsten ins Tausendste, und zuletzt ganz

ins Uferlose. Ein wichtiger Grundsatz ist, sich zu bescheiden, sich zu

beschränken. Versteht man aus einem großen Stoffe eine bestimmte Frage

ganz, hat man selbständige Gedanken darüber, so v e r w e i l e m a n

d a b e i . Man muß dankbar hinnehmen, was der Geist beschert, und nicht

gleich die Hände nach der Krone ausstrecken. Man lasse das Größere

fahren, um im Kleinen