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man nicht wahrhaft kennen noch durchdringen, was man nicht liebt, muß

einem fremd bleiben. Dieses „Erfülltsein“ vom Gegenstande ist

verhältnismäßig leicht zu erlangen und jedem, auch dem Unbegabten,

zugänglich. Es gehört dazu nur ein fortwährendes Sich- beschäftigen mit

dem Gegenstande, ein fortwährendes Lesen, fortwährendes Darandenken,

Darübersprechen und so fort. Um das zu erreichen, muß man sich aber zu

einem gesammelten Leben entschließen. Man darf sich nicht durch

sogenannte Unterhaltungen, Zerstreuungen, laute Wanderungen oder

anderes, das unter dem täuschenden Namen des „Ausspannens“ segelt,

ablenken lassen.

„Erfülltsein“ also vom Gegenstand ist die erste und unerläßliche

Vorbedingung. Wer von seinem Gegenstande erfüllt ist, muß ihn auch

liebgewinnen. Man muß die Sehnsucht nach der gesuchten Wahrheit in

sich erwecken, muß sein Ziel glühend w o l l e n . Viel lesen, aber nicht

mechanische „Vielleserei“ treiben, sondern jedes Buch ernsthaft

durchdenken. Bücher, die unter dem eigenen Wissensstand stehen,

womöglich nicht lesen: nur das Beste lesen, das, was nach unserm

Bildungsstande j e w e i l s das Beste ist! Das erhält die Sehnsucht und die

Liebe wach, erhöht immer mehr die Freude am Umgang mit unserm

Gegenstande. Auch darf man, wenn man zu Schlechterem greift, die

Gefahr nicht vergessen, die stets in solchem Herabsteigen liegt. Warnend

sagt Grillparzer:

„Glaubt ihr, man könne kosten vom Gemeinen?

Man muß es hassen oder ihm sich einen.“

Das soll nicht zum Hochmut führen, aber zur Selbstbewahrung.

Auch den Kreis nicht zu eng ziehen! Man hole sich Nahrung und

Erfrischung aus der

Kunst.

Die großen Schauspiele und Romane unserer

Dichter, die großen Schöpfungen unserer Meister der Töne, die großen

Werke der bildenden Kunst stehen so vielen Gegenständen der

Gesellschaftslehre und Volkswirtschaftslehre nahe, geben uns in Bildern

gesammelter Schau voller unerschöpflicher Fülle die Vorstellung des

inneren Gehaltes. Wie der Einzelne sich zum Ganzen verhalte, wie es in

ihm lebt und ist, wie er ihm urbildlich gleich und doch in sich selber einzig

sei, das lehrt eine Bachische Fuge so unmittelbar, so deutlich, wie es

hundert Bücher nicht lehren können. Die urweltliche, irrationale Fülle der

menschlichen Seele lehrt die höllische, geisterhafte und sinnliche Tonwelt

eines Don Juan von Mozart mit solch unwiderstehlicher Gewalt, daß die

Smithi-