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2. in das Ziehen der Schlußfolgerung selbst.
Diese Trennung der Denktätigkeiten beim Schlusse wird über-
raschen, da man im Schlusse nur die äußerliche Tatsache der „Ablei-
tung eines Urteiles aus mehreren" zu sehen gewohnt ist; indessen
der wirkliche Gang des Nachdenkens, auch im Alltage, und der For-
schung bestätigt unsere Trennung! Am Anfange findet man überall
die Eingebung, welche dem einfachen Denker wie dem Forscher
sagt, worauf er hinaus soll; darauf folgt aber jene saure Arbeit,
welche die sich ergeben habenden Teilurteile zu V o r d e r s ä t z e n
f ü r S c h l ü s s e ordnet, das heißt, welche erst die Urteile so ver-
vollständigen soll, daß die Eingebung voll entfaltet wird.
Jedes Beispiel aus der Geschichte der Wissenschaften bestätigt das.
Aus der kopernikanischen Schau des Himmelsgebäudes ergaben sich
genügend Einzelurteile, welche die verwickelte Sphärenvorstellung
aufzuheben imstande waren; aber es bedurfte einer langen Gedan-
kenarbeit, die gegebenen Einzelurteile so zu o r d n e n , in einen
solchen gliedhaften Zusammenhang zu bringen, daß der heliozen-
trische Gesamtbegriff durch alle Teilbegriffe wie elliptische Erdbahn,
Sonnennähe, Sonnenferne usw. voll entfaltet wurde! Dazu waren
auch noch weitere Eingebungen (Hilfseingebungen) nötig, wie sie
vor allem in den Keplerischen Gesetzen ihren Ausdruck fanden. Ein
anderes Beispiel: Als Newton in einer großartigen Eingebung die
Schwerkraft bis zum Monde reichen fühlte und / damit eine unge-
ahnte kosmische Einheit hergestellt sah, mußte er erst die sich erge-
bende Teilvergegenständlichung, das heißt die Konkretisierung in
Einzelurteile durchführen und sodann den „Beweis“ dafür dadurch
erbringen, daß er die einzelnen Urteile zu einem solchen Zusam-
menhang o r d n e t e , welcher schließlich in der Formel m.m
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ihren Ausdruck fand. Niemand wird behaupten, diese Formel selbst
sei schon in der Eingebung aufgetreten. Sie mußte erst aus der ab-
nehmenden Wirkung der Schwerkraft mit zunehmender Entfernung
(und so fort) erschlossen werden (was freilich ohne eine neue Hilfs-
eingebung nicht möglich gewesen wäre).
Daraus folgt, daß stets erst die einzelnen Urteile oder Gedanken
zur organischen F o l g e r u n g s r e i f e zusammengeordnet wer-
den müssen, ehe die Schlußfolgerung gezogen werden kann; dann
freilich ist die Folgerung selbst das einfachste, sich wie von selbst
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