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verstehende Ergebnis! So leicht ist dann diese Leistung, daß Locke
und die anderen empiristischen Logiker sogar den Sinn und die
Fruchtbarkeit des Syllogismus leugnen konnten
1
.
Als die eigentliche, bisher verkannte Geistesarbeit am Schlusse,
das heben wir gegenüber der Auffassung, der Schluß sei nur die
„Ableitung“ eines Urteils aus mehreren Urteilen — übrigens wieder
einmal die Armut aus der pauvreté erklärt, denn die „Ableitung“,
das ist der Schluß, soll ja eben erst erklärt werden!! —, nachdrück-
lich hervor, ergibt sich demnach: den Urteilsstoff, aus dem der
Schluß zu ziehen ist, so zu o r d n e n , daß die in den Urteilen
enthaltenen Begriffe in ihrem Zusammenhange hervortreten, daß
sie f o l g e r u n g s r e i f werden. Der Begriff der Folgerungsreife
ist im Lehrbegriffe des Schlusses schlechthin unentbehrlich.
/
W o r i n b e s t e h t n u n d i e O r d n u n g d e r U r t e i l e
z u r F o l g e r u n g s r e i f e ?
Darin liegt die eigentliche und einzige Schicksalsfrage des Syllo-
gismus! Wer diese Frage nicht beantwortet, weiß auch den Schluß in
seinem Wesen nicht zu enträtseln. Einmal gestellt, ist aber die Ant-
wort nicht weit: Die Vordersätze sind nach ihren gliedhaften Zu-
sammenhängen, sie sind als Gliederbau zu ordnen, wodurch sich die
in ihnen enthaltenen Begriffe (Urteilsbestandteile, Teilgegenstände)
nach ihren wesensgemäßen Verhältnissen, nämlich in ihrem ganz-
heitlichen Bau, das ist nach gliedhafter Überordnung, Unterordnung
und Nebenordnung darstellen!
Was das bedeutet, erkannte schon Aristoteles. Er erklärte den
Schluß aus der Subsumtion des Besonderen unter das Allgemeine
2
.
Und er erkannte überdies den M i t t e l b e g r i f f als das Gemein-
same, das zwei Urteile, welche Vordersätze bilden sollen, verbindet.
Den Mittelbegriff als das Gemeinsame zweier Prämissen, welches die
gliedhafte Stellung nach Uber-, Unter- und Nebenordnung aller
drei Begriffe klar zutage treten läßt, erkannt zu haben, muß als eine
der genialsten Entdeckungen der Geistesgeschichte gefeiert werden!
Sie ist dem Aristoteles nicht hoch genug anzurechnen.
1
Vgl. S. 155.
2
Aristoteles: Erste Analytiken: I, 1, 4 ff. und öfters. Vgl. auch Adolf Trende-
lenburg: Erläuterungen zu den Elementen der aristotelischen Logik, 3. Aufl.,
Berlin 1876, S. 41 ff.