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dem Zirkelbeweise, der petitio principii eng verwandt, so daß auch
hier das N i c h t - F e s t h a l t e n d e r B e g r i f f e i n i h r e r
E i n e r l e i h e i t der Grund des Schlußfehlers ist.
a.
In allen den eben genannten Fällen, dem falschen Zirkel, der
petitio, dem Hysteron-Proteron tritt uns aber eine Erscheinung
entgegen, die auch sonst im Leben auffällt und eine Rolle spielt:
Wir können sie kurz die f a l s c h e R e i h e n f o l g e nennen,
drastisch
gesprochen,
den z w e i t e n S c h r i t t v o r m e r s t e n !
Diese Erscheinung zeigt sich im Leben oft als Verschreiben, mei-
stens darin bestehend, daß man den späteren Buchstaben schon
früher schreibt, als er darankommt, also eine V o r w e g n a h m e ,
ähnlich der des Hysteron-Proteron! Was liegt hier vor? Wieder
nichts anderes als das N i c h t - F e s t h a l t e n der uns wohlbe-
kannten Reihenfolge!
Man kann daher auch sagen, es liege ein Fehler in der Mitgedacht-
heit der Begriffe, nämlich in ihrer gliedlichen Verknüpftheit vor:
Das Nicht-Festhalten der Reihenfolge ist mit einer fehlerhaften
Mitgedachtheit derart verbunden, daß sich d a s j e n i g e M i t -
g e d a c h t e i n / d e n V o r d e r g r u n d s t e l l t , welches der
Abfolge im Gliederbau (der „Reihenfolge“, dem wahren Zusam-
menhange) widerspricht. Und so kommt der zweite Schritt als erster
zustande!
Diese falsche V o r w e g n a h m e , V o r e i l i g k e i t , Ü b e r -
e i l u n g beruht ihrerseits wieder auf einer Ablenkung der Auf-
merksamkeit durch das Kommende: Ein Späteres, nicht das unmit-
telbar Folgende fesselt unsere Aufmerksamkeit derart, daß wir (1)
die Einerleiheit des eben Gegebenen mit sich selbst nicht festhalten,
damit (2) zugleich den Gliederbau der Mitgedachtheit (das heißt den
richtigen Zusammenhang) ebenfalls nicht festhalten und (3) dem-
gemäß nicht das im Gliederbau und der Reihenfolge Nächste er-
greifen, sondern dasjenige, w o v o n u n s e r e A u f m e r k s a m -
k e i t g e f e s s e l t w i r d !
Durch diese Verbindung der Verstöße gegen die Einerleiheit und die Mit-
gedachtheit (den rechten Zusammenhang) ist unseres Erachtens überhaupt eine
allgemeine Erklärung der F e h l l e i s t u n g gegeben. (Wie sehr sie von der nur
in der Irrsinnlehre brauchbaren „psychoanalytischen“ V e r d r ä n g u n g s -
t h e o r i e abweicht, brauchen wir nicht näher auseinanderzusetzen — die „Ver-
drängung“ ist logisch zweitrangig, sie ist erst ein Grund dafür, daß die Aufmerk-
samkeit abgelenkt werden kann, die Verstöße gegen Einerleiheit und Mitgedacht-
heit dadurch möglich werden!)