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ner verloren?“ Wird die Frage bejaht, so schließt man: „Also hast
du welche gehabt“, wird sie verneint, so heißt es: „Also hast du
sie noch“
1
. Der S o r i t e s (Haufenschluß) besteht in der Frage:
wieviel Körner einen Haufen machen, oder allgemeiner: mit welcher
Zahl die Vielheit beginnt. Eine solche anzugehen, ist natürlich nicht
möglich. Nur eine Anwendung davon ist der K a h l k o p f : „Wie-
viel Haare muß man einem ausziehen, daß er kahlköpfig wird?“
Im folgenden behandeln wir von diesen Fangschlüssen nur den
„Lügner“, die anderen sind als Schlüsse nicht ernst zu nehmen.
Dagegen fügen wir noch den „Achilleus“ und den „Krokodilschluß“
hinzu.
1.
Der Lügner (φευδόμενος)
Mit der Auflösung des „Lügners“ scheint sich das Altertum am
meisten beschäftigt zu haben, weshalb er auch die „Krone aller
Trugschlüsse“ genannt wurde. In der Tat ist er formell als Schluß
genommen, wie wir gleich vorausschicken, unauflösbar. Die Auflö-
sung liegt, wie wir zeigen werden, einzig und allein im Begriffe des-
sen, was der Obersatz behauptet, dem Begriffe des immerwähren-
den Lügens.
Der „Lügner“ wird uns in verschiedenen Fassungen überliefert
2
.
Die Aristotelische führte oben Zeller an. / Eine ausführlichere ergibt
sich aus Kallimachos, der wir nach Rüdiger folgen
3
: „Der Kreter
Epimenides sagt: ,Alle Kreter sind Lügner.' Sagt er damit die Wahr-
heit oder lügt er?“ Wir können das in folgende syllogistische Form
bringen (erste Figur, Modus Barbara):
(Epimenides sagt:) „Alle Kreter lügen immer“
(M a P)
Epimenides ist selbst Kreter
(S a M)
Also lügt Epimenides
(S a P)
Weiter:
Lügt er, so ist es nicht wahr, daß alle Kreter immer lügen.
Andererseits: Epimenides log (er tat, was alle Kreter tun).
Also ist es wahr, daß alle Kreter immer lügen.
1
Diogenes Laertius, VII, 187, VI, 38, Sen. ep. 45,
8
. Gell. XVI, 2, 9. Karl
Prantl: Aristoteles’ Physik...., München 1854, S. 53.
2
Aristoteles am oben angeführten Orte und die obigen Hinweise Zellers.
Paulus: Brief an Titus, I, 12.
3
Horst Rüdiger: Der Kampf mit dem gesunden Menschenverstand, Klas-
sische Trug- und Fangschlüsse, München 1938, S. 89 ff. (gestützt auf Kallimachos,
Hymn. in Iovem
8
).