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daher auch nicht zu denken vermöchte, h ä t t e k e i n e g e o r d -

n e t e V e r n u n f t mehr, er wäre im Ernste kein denkendes

Wesen mehr,, vielmehr ein — chaotisches Wesen!

Und damit ist die Auflösung des „Lügners“ endgültig gegeben: /

Der Widerspruch, der sich in den obigen Schlüssen zeigt, liegt schon

im Obersatze! Der Obersatz behauptet einen in sich widerspruchs-

vollen Begriff, und aus einem solchen folgen nur Widersprüche, das

heißt, es folgt n i c h t s !

Dafür zwei Beispiele: Aus den Vordersätzen:

Alles Eisen ist aus Holz;

dieses hier ist ein Eisen —

folgt ebensowenig etwas wie aus dem Satze „Alle Kreter lügen im-

mer“ (das heißt sind dauernd keine denkenden Wesen). Sowohl ein

hölzernes Eisen wie ein stetiger Lügner sind c h a o t i s c h e W e -

s e n . Ist Eisen aus Holz, so könnte es z. B. den Schmelzpunkt des

Eisens haben (wie der Kreter Epimenides die Eigenschaft zu lügen);

andererseits müßte es aber die Eigenschaften des Holzes haben,

nämlich lange vor jenem Schmelzpunkte zu b r e n n e n (wie der

Kreter Epimenides, indem er lügt, die Wahrheit sagt, daß nämlich

alle Kreter lügen). Ergebnis: Das hölzerne Eisen schmilzt, nachdem

es schon gebrannt hatte, es schmilzt und schmilzt nicht; der Immer-

lügende lügt, indem er die Wahrheit sagt, lügt und lügt nicht!

Gleichwie mit dem Begriffe des Immerlügenden steht es mit dem

des nur Falsches (oder Relatives) Erkennenden. Schon die altgriechi-

schen Skeptiker stellten den Satz auf: „Alle Erkenntnis ist unwahr“,

welcher in neuzeitlicher Form lautet: „Alle Erkenntnis ist nur rela-

tiv.“ In Schlußform gebracht:

Alle Erkenntnis ist unwahr (nur relativ wahr).

Dieser Satz ist selbst eine Erkenntnis.

Folglich ist er unwahr (nur relativ wahr).

Dieser Schluß entspricht genau dem des „Lügners“ und des „höl-

zernen Eisens“. Der immer unwahrhaf- / tige, der nicht erkennende

Geist und das hölzerne Eisen widersprechen sich selbst, chaotisieren

sich selbst — aus ihnen folgt nichts!

Es ist ja auch aus der Geschichte der Philosophie bekannt, wie die

alten Skeptiker diesen Widerspruch selber drastisch ausdrückten, in-

dem sie zu sagen pflegten: „Ich bestimme nichts — und auch das

nicht!“