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U r b a c h
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sagt, die vom Krokodile gestellte Bedingung sei in Wahrheit „keine
Bedingung, sondern bloß der Wortlaut einer solchen . . s o begibt er sich der
Auflösung, die er schon in der Hand hat (denn ob nach einer objektiven Wahr-
heit oder einer subjektiven Wahrheit — dem Vorsatze der Rückerstattung —
gefragt wird, hat mit der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Antwort und damit
der Erfüllung oder Nichterfüllung der Bedingung nicht das geringste zu tun!).
Auch wenn S c h u p p e
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sagt, es bestünde eine Unklarheit des Begriffes „Wahr-
heit“, so ist dem zu widersprechen. Lediglich dadurch, daß das Krokodil nicht
erklärt, welche Absicht es hatte, daher W a h r o d e r F a l s c h d e r A n t w o r t
g a r n i c h t f e s t g e s t e l l t w u r d e , erst dadurch entsteht der Schein eines
logisch unklaren Sachverhaltes. Würde man aber einwenden, das Krokodil frage
nicht: „Welcher ist mein Vorsatz, Rückgabe oder nicht?“, sondern: „Werde ich
Dir das Kind geben oder nicht?“ — so wäre das unberechtigt. Denn dieses Geben
oder Nichtgeben wird ja ausdrücklich von der r i c h t i g e n A n t w o r t ab-
hängig gemacht. Diese Richtigkeit kann aber doch wieder nur von der Überein-
stimmung oder Nichtübereinstimmung mit dem festgestellt werden, was das Kro-
kodil tun w i l l , da es ja ausdrücklich erklärt, das Kind wiederzugeben, wenn
man seine Frage r i c h t i g beantworte. — Wie man die Sache auch wende, es
bleibt ein vom Standpunkte der Syllogistik völlig uninteressanter, weil eindeutiger
Fall.
2. Achilles und die Schildkröte
Von Zenon dem Eleaten (um 464/60 v. Chr.), dem Schüler des
Parmenides, stammt einer der berühmtesten Trugschlüsse des Alter-
tums. Er sollte die elea- / tische Lehre, daß es nur das Eine Sein
gebe, Vielheit und Bewegung aber unwirklich, Schein sei, beweisen.
Er lautete etwa
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: Der schnellfüßige Achilles kann die langsame
Schildkröte nicht einholen. Denn Achilles muß immer vorher an
den Punkt kommen, den die fliehende Schildkröte gerade verließ.
Die trennende Entfernung wird zwar immer kleiner, besteht aber
aus einer unendlichen Zahl von Raumteilen, die in einer endlichen
Zeit nicht durchlaufen werden können. Achilles wird also die Schild-
kröte nie einholen.
Versuchen wir, diesen Beweis Zenons in syllogistische Form zu
bringen (was merkwürdigerweise noch niemals geschah), so ergibt
sich etwa die folgende als angemessen
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:
1
Benno Urbach: Über das Wesen der logischen Paradoxa, in: Zeitschrift für
Philosophie und philosophische Kritik, Bd 140, Leipzig 1910, S. 93 f.
2
Schuppe: Grundriß der Erkenntnistheorie und Logik, S. 180 f.
3
Aristoteles: Physik, VI, 9, 239k 14 (dazu Karl Prantl: Aristoteles’ Physik
. . . . , München 1854, Anmerkung S. 516); Hermann Diels: Die Fragmente der
Vorsokratiker, Bd 1, 4. Aufl., Berlin 1922, 19 A, 26; Diogenes Laertius: IX, 29.
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Nach der ersten Figur, Modus Celarent; insofern aber jedes verneinende