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sich haben! Wie ist das zu erklären? Hauptsächlich durch die gleich-

zeitig vielfache Gliedhaftigkeit des Gegenstandes! Die durch Vor-

liebe und dergleichen willentlich in den Vordergrund gerückten Tat-

sachen und Zusammenhänge bestehen nämlich wirklich, und zwar

g l e i c h z e i t i g mit anderen, allerdings wesentlicheren. So z. ß.

kann der Techniker einen Begriff einer bestimmten Brücke vom

Standpunkte des Bau- / gefüges und der Festigkeit, der Künstler

vom Standpunkte der Schönheit, der Volkswirtschaftler vom Stand-

punkte ihrer Leistungen für verschiedene Wirtschaftszweige (welche

wieder für die benützenden Fabriken, Landwirtschaften, Behörden

und so fort je nach deren Standort verschieden ausfallen können)

aufstellen. Alle diese Begriffe der Brücke können in ihrer Weise

richtig sein. Wenn aber der Techniker, Künstler und so fort den

seinen je für den alleinigen hält, i r r t e r : Die gleichzeitig viel-

fache Gliedhaftigkeit der Brücke erfordert die Berücksichtigung und

die Inverhältnissetzung dieser Gliedhaftigkeiten zueinander. Der

Begriff der Brücke muß sie alle umfassen und als Gesamtganzes in

eine höhere Einheit vereinigen. Je mehr die Willenseinstellung des

Forschers nur e i n e bestimmte Gliedhaftigkeit, einen bestimmten

Zusammenhang in den Vordergrund rückt oder gar ausschließlich

gelten läßt, entwickelt er einen i r r t ü m l i c h e n L e h r b e -

g r i f f , eine falsche Lehrmeinung, die aber gleichwohl auf i n

s i c h r i c h t i g e n Denkzusammenhängen (und einer ihnen ent-

sprechenden, an Teilbeständen haftenden Eingebung) beruht.

Dies ist der Fall aller Irrlehren in der Geschichte, namentlich der

Geistesgeschichte! Ein klassisches Beispiel dafür sehen wir im Ma-

t e r i a l i s m u s , welcher ja durchaus einen wahren Zusammen-

hang der Dinge, die vielfache Unentbehrlichkeit stofflicher Voraus-

setzungen für geistiges Geschehen, zum Gegenstande hat. Indem er

aber ausschließlich das Stoffliche, das bei geistigen Erscheinungen

beobachtet wird, ins Auge faßt, mit einem Worte das Geistige aus

dem Stofflichen erklärt und so als Geistiges in seiner Selbständigkeit

leugnet, wird er zum falschen Lehrbegriffe, zur Irrlehre. Schwerlich

kann man glauben, daß dem nur ein Beobachtungsfehler zugrunde

liege! Betrachtet / man z. B. den Siegeszug des Materialismus im

Frankreich der großen Revolution und im nachhegelischen Deutsch-

land, so findet man seine Gründe eindeutig in bestimmten W i 1 -

l e n s e i n s t e l l u n g e n : Teils war es das Vertrauen auf die un-