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überflüssig, weil unergiebig, den freien Fall mit einem Pferde zu
vergleichen, das um so schneller lief, je näher es seinem Stalle kam,
mit dem Begriffe der gleichförmig beschleunigten Bewegung hatte
man eine genaue, „exakte“ Bestimmung des Geschehens. Der Ver-
such, darüber hinaus noch den Wesensgehalt, Sinngehalt der mathe-
matisch dargestellten Tatsache zu erklären, erschien sozusagen als
ein überflüssiges Abenteuer: Mehr als die erschöpfende, nämlich
mathematische Darstellung des Gegenstandes war wissenschaftlich
nicht zu erlangen, und damit war die Aufgabe der Wissenschaft be-
endigt!
Es ist bekannt, daß diese Auffassung zuerst der stofflichen Natur,
dann der gesamten Welt (also einschließlich der geistigen Erschei-
nungen) zu dem Erkenntnisideale der sogenannten L a p l a c e -
s c h e n W e l t f o r m e l führte. Darnach wäre, wie für die Gra-
vitation die Gravitationsformel, so für jedes Erscheinungsgebiet der
Welt eine eigene Grundformel aufzustellen, welche Formeln ein Ge-
samtsystem bilden, das, die / Anfangs- und Randwerte eingesetzt,
erlauben würde, das gesamte Weltgeschehen, einschließlich der gei-
stigen Vorgänge, also der gesamten Menschheitsgeschichte, jede
Schlacht, jedes Ereignis überhaupt, ebenso vorauszuberechnen, wie
jetzt die Astronomie Sonnen- und Mondfinsternisse vorausberechnet!
Dieses Erkenntnisideal der Laplaceschen Weltformel war es vor-
nehmlich, welches in den Geisteswissenschaften, darunter namentlich
den Gesellschaftswissenschaften den Wahn erzeugte, ebenfalls Na-
t u r g e s e t z e , ursächlich-mechanistische Gesetze nach Art der
Physik, womöglich in mathematischer Form aufzustellen! Auf dem
Grunde dieses Wahnbegriffes der Laplaceschen Weltformel allein
konnte der Versuch einer mathematischen Volkswirtschaftslehre,
einer mathematischen Gesellschaftslehre, ja sogar einer mathemati-
schen Psychologie, mindestens der Sinnespsychologie und der
Psychophysik, gemacht werden. Sogar die Geschichte sollte unter
dem Titel einer „gesetzmäßigen Entwicklung“ mechanistisch-not-
wendigen (wenn auch noch nicht mathematisch faßbaren) Gesetzen
unterworfen sein, wofür das Comtesche „Gesetz der drei Stadien“
und die „materialistische Geschichtsauffassung“ Marxens (nach wel-
cher bekanntlich die Wirtschaft als „Unterbau“ und die gesamte
geistige Kultur als „Überbau“ über die angeblich naturnotwendigen
und sogar mathematisch bestimmbaren Gesetzen unterliegende
18 Logik