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Es steht also in Wahrheit so, daß die Naturwissenschaft wie jede
andere Wissenschaft auch z w e i e r l e i A l l g e m e i n b e g r i f f e
hat, die Begriffe der Teilinhalte der Natur und die des Stufenbaues.
Die ersteren, hauptsächlich der Physik und auch noch zum Teil der
Chemie angehörig, sind mechanistisch-mathematischer, weil rein
mengenmäßiger Art, die letzteren sind bereits individuell, wie jede
Stufe arteigen und ins Mathematische nicht auflösbar.
In welchem Verhältnisse stehen nun die mechanistisch-mathema-
tischen Teilinhaltsbegriffe, welche die Physik in ihren Gesetzen auf-
stellt, zu den Teilinhaltsbegriffen der ganzheitlichen Wissenschaften?
Das ist die entscheidende logische Frage!
Die Antwort ist eindeutig damit gegeben, daß die Teilinhalte der
geistigen und der organischen Ganzheiten in ihrem Sinngehalte, in
ihren Leistungen für das Ganze durchaus verständlich und durch-
schaubar sind; die Teilinhalte der stofflichen Natur aber nicht. Was
Vorreife (Erfindung und Lehre), was Marktreife (Handel) im Gan-
zen der Wirtschaft bedeuten und leisten, was Herz und Lunge im
Organismus, ist uns einsichtig gegeben oder wenigstens erschwing-
lich; dagegen was die elektromagnetischen Erscheinungen, was die
Wärme, die Gravitation für sinnvolle Leistungen im Gesamtganzen
der Natur zu vollbringen haben, das zu enträtseln ist bisher nicht
gelungen. Einen vermittelten Ganzheitszusammenhang können wir
wohl in der Natur erkennen, wie ich in meiner „Naturphilo- /
sophie“ nachwies, einen sinnbildlichen, wie Eichendorffs Naturdich-
tung bezeugt; aber einen unmittelbaren Sinn- und Lebensgehalt des
Gesamtganzen der anorganischen Natur vermochte bisher niemand
zu erkennen! D i e s i s t d e r G r u n d d a f ü r , d a ß d i e N a -
t u r w i s s e n s c h a f t s i c h a n d i e r e i n m e n g e n m ä ß i -
g e n M e r k z e i c h e n d e r E r s c h e i n u n g e n h a l t e n
m u ß ! Die mathematisch-mechanistische Form ihrer Allgemein-
begriffe ist daher kein Vollkommenheitszeichen, vielmehr ein Ar-
mutszeichen!
Da nun aber zweifellos die Natur, wenn auch nur vermittelte
und nur unvollkommen, eben mittelbar erkennbare Ganzheitszu-
sammenhänge zeigt, und zwar sowohl in ihren Erscheinungen unter-
einander wie in ihrem Zusammenhange mit der Lebewelt und den
Menschen (man denke nur an die „Instinkte“ von Tier und Mensch,
an die Eignung der Naturwelt, dem Geiste und Leibe des Menschen
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