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durch die Gliedhaftigkeit, welche ja notgedrungen nichts anderes als
Gestaltung, Konkretisierung, Ausdruck des Allgemeinen, nämlich
der Ganzheit ist. So auch bei den höheren Stufen. Der athenische
Staat jener Zeit ist Glied der hellenischen Staatenwelt, diese Glied
der vorderasiatisch-mittelmeerischen Staatenwelt und so fort. Nach
oben hin gesehen ist der ahtenische Staat eine untere Stufe dieser
Staatenwelt und in dieser Eigenschaft ein verhältnismäßig Besonde-
res, Konkretes; nach unten hin gesehen, seinen Teilgebilden und
Bürgern hin, ist er ein Allgemeines, Höheres! Das Besondere, Ein-
malige des athenischen Staates erhebt sich also stets auf dem Grunde
seiner Staatlichkeit, ist nur als Ausdruck, als Besonderung eines All-
gemeinen möglich und denkbar!
Die Zwieschlächtigkeit der Stufe, die wir früher wiederholt her-
vorhoben, nach oben hin besondert, nach unten hin allgemein,
damit aber stets ein K o n k r e t - A l l g e m e i n e s zu sein, nie-
mals ein Abstrakt-Allgemeines, sie reicht bis in die unterste Stufe,
das letzte Glied. Dieses ist in der Geschichte vornehmlich der ein-
zelne, führende Mensch, mit dem sie es zu um hat. Was auch z. B.
von Karl dem Großen gesagt werden möge, er erscheint als Besie-
ger / der Bajuwaren und Sachsen, damit als Gründer der deutschen
Volkheit, als Gründer des römischen Reiches, als Förderer des Chri-
stentums, als Führer der Bildungswelt — stets als Glied, sei es des
Staates, der Volkheit, der Christenheit oder anderer Ganzheiten.
Die Einmaligkeit vollendet nur die konkrete Seite der Stufe, sie be-
gründet für sich selbst keinen Begriff. Gleichwie ein Ungliedhaft-
Einmaliges in der Welt nicht bestehen könnte, so wäre es auch im
Denken eine Unmöglichkeit.
Aus diesem unserem Begriffe der geschichtlichen Individualität
wird auch jene verfahrenmäßige Schwierigkeit klar, welche persönlich
für jeden Geschichtsschreiber besteht: Er soll alle ihm aufstoßenden
Gliedhaftigkeiten verstehen, das heißt aber in allen Wissenschaften
zu Hause sein! Die Darstellung des Staatsmannes verlangt die
Kenntnis des Staates, die des Wirtschaftspolitikers der Volkswirt-
schaft, des Bildungsreformators des gesamten Bildungsinhaltes der
betreffenden Zeit, des Künstlers der Kunstgemeinschaft, des Gelehr-
ten der Wissenschaft und ihrer Gemeinschaft! Die gleiche Schwierig-
keit zeigt sich noch mehr beim Philologen, der sofort zum Ge-
schichtsschreiber wird, sobald er nur über das Grammatisch-Lexi-