84
(4)
Hieraus ergibt sich uns die allgemeine religionsphilosophische
Kategorie der E i n h e i t v o n G o t t u n d S e e l e . Dieselbe
zeigte sich schon im Begriffe des Fünkleins vorgebildet. Diese
Einheit ist auch hier keine Wesens-Einerleiheit. Was Christus
von Natur, ist der Mensch aus Gnade.
(5)
Da Gott sich der Seele seinem Wesen nach mitteilt, mitteilen
muß, so folgt daraus: Gott wirkt ohne ein Warum, „sonder
warumbe“. So auch der Mensch: „Je höher der Mensch, umso
weniger lebt er sich selbst, sondern Gott lebt in ihm.“
(6)
Die Seele ist dabei in einem u n m i t t e l b a r e n Verhältnisse
zu Gott.
„. .. got wirket in der sêle âne allez mitel,. "
1
Auch hier zeigt sich wieder die Übereinstimmung mit der Lehre
vom Fünklein.
(7)
Gott wird in der mystischen Einung „die Form der Seele“; ähn-
lich wie nach aristotelisch-scholastischer Auffassung die Seele die
„Form des Leibes“ ist.
Dies ist ein Beispiel dafür, wie Meister Eckehart Aristotelische
Begriffe zur Erläuterung und Deutung des Mystischen heranzieht.
Er tut dabei der Ursprünglichkeit und Selbständigkeit seiner my-
stischen Lehre, sofern sie in den Urbegriffen gefaßt und gedeutet
wird, keinen Abbruch.
(8)
Da nur der Mensch der Gottesgeburt in der Seele bewußt wer-
den kann und nur er „gote alsô sippe“ ist, ergibt sich daraus die
unaussprechlich h o h e W ü r d e der Menschen. (Im obigen ist
sie nicht eigens hervorgehoben, weil wir mit dem Meister noch
oft darauf zurückkommen.)
(9)
Übungen, welche zu den mystischen Zuständen führen sollen,
sind bei Meister Eckehart bestimmt anzunehmen, jedoch in ihrer
Beschaffenheit nicht feststellbar.
Zur religionsphilosophischen Kategorie der E i n h e i t v o n G o t t u n d
S e e l e in anderen mystischen Lehren vgl. mein Buch: Religionsphilosophie auf
geschichtlicher Grundlage, Wien 1947, S. 46 ff. [2. Aufl., Graz 1970, S. 60 ff.].
Es kann keine echte Mystik geben, welche diese Kategorie nicht in irgendeiner
Form einführte. An dieser Stelle würde passend die G o t t e s l e h r e u n d d i e
S e i n s l e h r e Eckeharts folgen. Doch müssen wir es vermeiden, durch diese zu
sehr ins Theologische hineinzukommen, während wir uns möglichst auf das
Philosophische beschränken wollen. Überdies werden Hauptpunkte der philoso-
1
1
Pf. 6, 1: Gott wirkt in der Seele ohne jede Vermittlung.