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Hier ist wieder klar ausgesprochen, daß die innere Grundlage
alles Schaffens im Zustande vollkommener geistiger Sammlung, voll-
kommenen Beisichselbstseins liege!
Diese unsere Auslegung läßt sich durch weitere Aussprüche Ecke-
harts leicht begründen. Wir müssen aber, ehe wir die Belege hören,
weiter ausholen und fragen: Wie kam Eckehart gerade auf diese
Fassung seiner Gedanken, von wo aus sind sie zu verstehen?
Die Antwort kann nur lauten: durch Rückgang auf die my-
stischen Zustände, auf die inneren Erfahrungen. Nach allem, was
wir über die „Gottesgeburt in der Seele“ von Eckehart hörten, ist
dieser Zustand als vollkommene Einigung in sich selbst zu ver-
stehen. Dieser Einheit oder auch V e r s e n k u n g in sich selbst zu
nennende Zustand kann nun als „Einsitzen, Einstehen in sich
selbst“ gekennzeichnet werden — Ausdrücke, die uns auch eine Ge-
währ für die Echtheit der angeführten Stellen sind, denn kein an-
derer als Eckehart hätte sie erfinden können
1
. Die Einheit birgt in
sich eine verborgene Fülle, die unter anderen fähig ist, nach außen
zu wirken. —
Auch in den V e d e n schafft Gott durch Versenkung (tapo)
2
.
Sucht man nach einer Entsprechung dieser Lehre bei Eckehart
selbst, so wäre es im innergöttlichen Leben die Sohnesgeburt oder
der Logos, das Wort, so wie er diesen Lehrbegriff faßt. Denn dar-
nach sieht sich Gott selber an (oder spricht er sein Wort in sich
selber); und dadurch tritt der Ansehende und das Angesehene, der
Denkende und das Gedachte, der Sprechende und das Wort, der
V a t e r u n d d e r S o h n oder auch, anders ausgedrückt, der Ge-
danke und das Wort ideell auseinander.
Wir können auch sagen: Indem Gott in der Fülle seines Wesens
seiner selbst inne wird, u n t e r s c h e i d e t sich der sich Vergegen-
ständlichende vom Vergegenständlichten, der Vater vom Sohne;
wir können auch mit Rücksicht auf die in diesem allem liegende
Einheit der Sammlung, des „Einstehens und Einsitzens“, sagen: es
unterscheidet sich der sich Sammelnde von dem darin liegenden In-
1
Das ganze Stück 24, dem sie entnommen sind, ist echt, aber leider zu
kurz, bruchstückhaft.
2
Paul Deussen: Sechzig Upanishad’s des Veda, 3. Aufl., Leipzig 1921.