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großen Leistungen des Meisters vor uns, die aus der Tiefe des Er-
lebens kommen. Hören wir ihn noch ausführlich darüber:
„Sô ich ez (was in mir ist) joch gedenke, so offenbâret ez mîn wort unde
b l î b e t d o c h i n n e . Also sprichet der vater den sun . . . unde blîbet doch
in ime. Ich hab ez ouch mê gesprochen: gotes ûzganc ist sîn înganc, als vil ich got
nâhe bin, alsô vil sprichet sich got in mich. Alle vernünftige crêatûre an iren
werken, sô sie mê gent ûzer in selber, so sie mê gênt in sich selber. Des enist
an lîplîchen dingen niht: sô sie mê würkent sô sie mê gent ûz in selber.“
1
Das obige Beispiel vom Edelstein versteht also das Magische sei-
ner Wirkung schon geistartig!
„Lîplîchiu dinc diu sint ûzwürkende, geistîchiu dinc sint înwürkende.“
2
„Er (Gott) ist bi im selber und enget niht verre ûz, er blîbet alzemâle bî im selber.“
3
Im Johanneskommentar sagt Eckehart:
„Das Wort, das Vorbild der geschaffenen Dinge, ist n i c h t etwas außerhalb
Gottes, worauf er hinschauen müßte, wie bei uns die Gestalt an der Wand sich
zum Maler verhält, der auf das Vorbild an der Wand hinschaut, sondern es ist im
Vater selbst [und verharrt darin].“
4
Man erkennt hierin deutlich eine Spitze gegen Platon, welcher
im „Timaios“ den Demiurgen auf die Ideen als Vorbilder hinblicken
läßt
5
.
Das Wort bleibe hier in Gott wie der Gedanke im Denkenden,
während er ihn nach außenhin spricht.
Wie die Schöpfertätigkeit Gottes zugleich eine Äußerung und
eine Innerung sei, erläutert Eckehart wiederholt:
„Ez ist ein wunderlich dinc, daz ein dinc ûz vliuzet unde doch inne belîbet.
. . . daz got gegeben hat unde daz got gelobet hat ze gebenne, daz ... ist un-
1
Pf. 92, 2: Wenn ich jedoch das (was in mir ist) d e n k e , so wird es im
Worte offenbar („in die Welt gesetzt“) und bleibt aber doch in mir. Ebenso
spricht Gott den Sohn, der (deshalb) doch in ihm bleibt.
Ich habe auch (schon) öfter gesagt: Gottes Ausgang ist sein Eingang (Insich-
gehen, das ist Insichbleiben). Wie sehr ich Gott nahe bin, so sehr spricht er in
mich. Alle vernünftigen Kreaturen wirken, je mehr sie es nach außen tun, desto
mehr nach innen. Im materiellen Zusammenhange ist dies nicht so: Je mehr
das Leibliche werkt, um so mehr gerät es ins Äußerliche.
2
Pf. 101, 15: Leibliche Dinge drängen aufs Äußere, geistige aufs Innere.
3
Pf. 102, 20: Gott ist durch sich selber und geht nicht weit aus sich heraus;
er bleibt vielmehr vollkommen in sich selber.
4
Meister Eckhart: Die Lateinischen Werke, Dritter Band, Expositio sancti
Evangelii secundum Johannem, herausgegeben von Josef Koch, Stuttgart 1937,
S. 3.
5
Platon: Timaios 28a ff.