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Man kann demnach den Gedanken, das innergöttliche Leben sei
zugleich unauflöslich mit der Schöpfung der Welt verbunden, so
ausdrücken: G o t t s c h a f f t n u r s i c h s e l b s t .
Hiemit wäre allerdings nur die Urbildwelt (Ideenwelt), nicht die
außergöttliche Welt, erklärt.
Mit der Selbstoffenbarung Gottes, dem innergöttlichen Leben, ist
auch die Schöpfung der S e e l e unmittelbar verbunden. Ehe wir
daher die Schöpfungslehre Eckeharts weiterverfolgen, betrachten
wir genauer, was er über die Erschaffung der Seele und ihr Ver-
hältnis zu den übrigen Geschöpfen sagt.
II. Die Erschaffung der Seele
Im Einklange mit der zuvor angeführten Stelle: „Gott könnte
sich niemals erkennen, erkennte er nicht alle (seine) Geschöpfe“
1
,
nämlich den Inhalt der Ideenwelt, deren Gesamtheit eben die Schöp-
fung ausmacht, im Einklang damit schildert Eckehart auch die Er-
schaffung der Seele. Er findet sie in der Gottesgeburt. Da aber diese
in der S e e l e geschieht, erhebt sich freilich der Einwand, daß
dabei die Seele schon vorausgesetzt sei, also schon vorher geschaffen
sein müßte. Aber nach Eckehart besteht sie doch im eigentlichen
Sinne vorher noch nicht:
„Da sprichet ir (der Seele) în daz ewige wort daz leben; da w i r t d i u
s ê l e l e b e n d e unde widersprechende in dem Worte.“
2
Die Seele ist also vorher nicht eigentlich lebendig, wir dürfen
wohl sagen, fast nur ein Ansatz. Es wäre demnach nur dieser mit
der Selbsterkenntnis Gottes u n m i t t e l b a r gegeben. Mit einer
anderen, uns schon bekannten Wendung drückt Eckehart dies so
aus, daß die Seele ein B e i w o r t des ewigen Wortes sei. Dieses
Beiwort, so dürfen wir es uns zurecht legen, muß also erst zur vollen
Kraft des Wortes erhoben werden:
„Gotes sêlekeit lît an der inwertwürkunge der vernünftekeit
3
, dâ daz wort
1
Pf. 254, 17
2
Pf. 125, 39: Dort (im Zusammenstoß der Lichter, in der Gottesgeburt)
spricht ihr (der Seele) das ewige Wort das Leben ein; dort wird die Seele le-
bendig und antwortend in dem Worte.
3
das heißt, die Vernunft denkt ihre Gedanken in sich selber, in ihr Inneres
hinein, vgl. Fichte: Das Ich setzt sich s i c h s e l b s t entgegen, in seinem In-
neren!