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Die Lehre, daß die Seele allein ein Ebenbild Gottes, alle anderen

Geschöpfe aber nur Fußstapfen (vestigia) Gottes seien, ist gemcin-

scholastisch. Thomas

1

vertritt sie ebenso wie Bonaventura unter

anderen. Sie beruht auf dem einfachen und wahren Gedanken, daß

die Seele (nach Aristoteles) „gleichsam alle Dinge sei“, das heißt alle

Ideen in sich habe; die anderen Kreaturen aber nur eine Idee ver-

körperten, wie z. B. ein Stein. Man muß aber auch hier zugeben,

daß Eckehart diese Lehre darüber hinaus in einer tieferen, vorher

bei weitem nicht erreichten Weise begründet! Eckehart feiert daher

mit Recht seine Begründung, die ihm unmittelbar aus dem mysti-

schen Erleben erwuchs, wiederholt mit hohen, begeisterten Worten.

Eine Predigt, in der das vielleicht zum ersten Male vollbewußt ge-

schah, ist uns noch erhalten. Es ist die 56. Predigt in der Sammlung

Pfeiffers, und diese Predigt darf überhaupt als eine der denkwür-

digsten Erzeugnisse des menschlichen Geistes betrachtet werden:

„Nû merkent, ich wil nû sprechen daz ich nie mê gesprach. Do got himel, erde

und alle crêatûren geschuof, do worhte got niht; ern hüte niht ze wür kenne,

in ime was ouch kein werc. Dô sprach got ,wir machen einen glichen“. Schepfen

ist ein lîht dinc: daz tuot man swenne und swie man wil. Aber daz ich mache,

daz mache ich selbe mit mir selben und in mir selben und drücke min bilde

zemâle dar în.

,Wir machen einen glîchen“: niht du vater, noch du sun noch dü heiligeist,

mêr: wir in dem rate der heiligen drîvaltikeit wir machen einen glichen.

Do got den menschen gemahte, dô worhte er in der sele sin glîch werc,

sin wirkende und sin iemer werendez werc. Daz werc was sô grôz, daz ez anders

niht enwas dan diu sêle: diu was daz werc gotes. Gotes nâtûre, sin wesen unde

sin gotheit hanget dar an, daz er muoz wirken in der sêle. Got segen, got

segen!“

2

1

Summa theologiae.

2

Pf. 179, 23: Hört zu, ich will nun von etwas sprechen, wovon ich noch nie

sprach. Als Gott Himmel, Erde und alle Wesen schuf, da werkte Gott nicht;

er mußte nicht werkend schaffen, denn an ihm selbst war auch nichts Geschaf-

fenes. Da sprach Gott: „Machen wir ein Ebenbild! Erschaffen ist ein leichtes

Ding: Das tut unsereins, wann und wie er will. Was ich aber mache, das mache

ich selbst mit mir und präge zugleich mein Bild darein. ,Wir machen (uns) ein

Ebenbild!“: Nicht du, Vater, noch du, Sohn, noch du, Heiliger Geist, sondern:

Wir in dem Geheimnis der Heiligen Dreifaltigkeit, wir machen (uns) ein Eben-

bild.

Als Gott den Menschen machte, da wirkte er in der Seele sein (ihm) gleiches

Werk, sein wirkendes Werk und sein immerwährendes Werk. Das Werk war so

groß, daß es nichts anderes war als die Seele: sie war Werk Gottes. Gottes Natur,

sein Sein und seine Gottheit hängen daran, daß er in der Seele wirken muß.

Gesegnet, gesegnet sei Gott!