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Wie ist nun diese der gesamten neuzeitlichen Bildung und dem

heutigen Seelenbegriffe so völlig fremde Lehre von der Erschaffung

der Welt durch die Seele zu begreifen?

Man kann sie nur begreifen, wenn man Eckeharts übersinnliche,

alles weltliche Sein hinter sich lassende Erfahrung zum Ausgangs-

punkte nimmt.

In diesem mystischen Zustande fühlt sich die Seele in die Lauter-

keit Gottes, in das Übersein, gehoben, in der gleichwohl alle Fülle

verborgen ist, in der die Stätte der Schöpfung aller Dinge durch die

Ideen ist. Mit diesem schöpferischen Übersein fühlt sich die Seele,

die „gote also sippe ist“, eins.

Nimmt man hierzu die unwiderleglich richtige Platonisch-Aristo-

telische Lehre, wonach die Seele Inhaberin der Seinsvorstellung und

der höchsten Begriffe (Ideen) sei — so nach Platons Theaitetos —

und daß „die Seele gleichsam alle Dinge“ sei, da sie der Möglich-

keit nach die Formen (Ideen) aller Dinge in sich habe — nach dem

Aristotelischen Worte: „nicht der Stein ist in der Seele, aber die

Form des Steines“, den die Seele wahrnimmt; nimmt man zur my-

stischen Erfahrung diese damals durchaus herrschende Lehre hinzu,

dann begreift man, daß der Mystiker den Adel der Seele so hoch

zu stellen vermöge.

Hält man das fest, so versteht man, wieso Eckehart sich wie-

derholt wie folgt äußern könne:

„Swer dâ sprichet, daz er zuo sîner nâtûre komen sî, der sol alliu dinc in

ime gebildet vinden in der lûterkeit, als sie in gote sint.“

1

„Bin ich sêlic, so sint alliu dinc in mir unde got, unde swâ ich bin, da ist got.

. . . unde swâ got ist, da bin ich.“

2

Noch manche solche Stelle ließe sich anführen. Den Schlüssel bil-

det überall, wie bei den früher schon angeführten, die innere my-

stische Erfahrung, in welcher die Seele, das Übersein berührend,

gleichsam die Urbilder der Dinge in der geistigen Einfalt verborgen

ahnt.

1

Pf. 90, 15: Wer da sagt, daß er zu seiner Natur gekommen sei (im höchsten

mystischen Zustande; in die reine Tiefe seines Wesens), der muß alle Dinge in

sich gebildet finden in der lauteren Art, wie sie in Gott sind.

2

Pf. 32, 12: Bin ich selig (was im mystischen Zustande vorgekostet wird),

so sind alle Dinge in mir und in Gott (als Ideen); und wo ich bin, da ist Gott. ..

und wo Gott ist, da bin ich.