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107

Diese Stelle ist dadurch besonders wertvoll, daß der Meister hier

unverhohlen von der mystischen Erfahrung ausgeht. In ähnlicher

Weise spricht sich Eckehart in einem anderen Zusammenhänge

derselben Abhandlung aus, und noch ausführlicher:

„Nûmerkent einen andern sin von disen Worten, diu da sprechent: ,er was

in der welt unde diu welt ist von ime geschaffen“. Bî ,dirre welt“ verstân ich

niht anders denne einen götlîchen m e n s c h e n . Wie nû ein götlich lieht müge

dise welt geheizen werden, daz merkent. Ich spriche, daz der mensche hat ein

vermugen in der sêle, daz er a l l e r c r ê a t û r e wesen hât mit den steinen,

mit den boumen unde für baz mit allen andern crêatûren, unde mit derselben

vermügenden kraft hat er a l l e r c r e a t ü r e n b i l d e enpfangen in sîner

Vernunft mit underscheidenlîcher wîse. .. Alsô sint in dem m e n s c h e n

a l l i u d i n c g e s c h a f f e n . Daz gît mir ein Zeichen: ê daz got alliu dinc

geschuof in im selber, dô was got unde helle unde vegefiur und alliu dinc, und

a l s o i s t d e r m e n s c h e d i u w e l t , dâ diz lieht inne was, unde disiu

welt ist doch von im geschaffen.“

1

(Wie in Christus) „sint alle crêatûre ein mensche unde der mensche ist got.“

2

Man wende nicht etwa ein, daß die angeführten Stellen nicht

echt seien (alles ist in diesen Traktaten allerdings nicht in der Ord-

nung und kann zum Teil aus anderen Mystikern ausgezogen sein);

denn schon allein die oben angeführten häufigen Aussprüche Ecke-

harts: daß alle Kreaturen ein Sprechen Gottes, daß sie Ein Wort

seien und daß Gott nie mehr als Ein Wort gesprochen habe, und

diese und ähnliche Gedanken beweisen, daß der Mensch, in den

alleine Gott sein Wort spricht, daß er allein der Inbegriff der gan-

zen Welt, also aller Kreaturen sei; was wieder umgekehrt heißt, daß

alle Kreaturen ein Mensch seien.

Endlich ist die Echtheit obiger Stellen auch durch Gleichläufig-

1

Pf. 589, 13: Nun nehmet einen anderen Gedanken aus den Worten (der hl.

Schrift), die da lauten: ,Er war in der Welt und die Welt ist von ihm geschaffen“.

Unter ,diese Welt“ verstehe ich nichts anders als einen güttlichen M e n s c h e n .

Hüret nun, wie ein güttliches Licht ,diese Welt“ genannt werden kann! Ich sage:

Der Mensch hat ein Vermögen in der Seele, a l l e r K r e a t u r e n S e i n in sich

zu vereinen, der Steine, der Bäume und auch aller anderen Geschöpfe; mit eben

dieser Fähigkeit hat er in seinen Geist die I d e e n b i l d e r a l l e r K r e a t u r e n

empfangen, um sie unterscheiden zu können. Auf diese Art und Weise sind i n

dem M e n s c h e n a l l e D i n g e e r s c h a f f e n . Das gibt mir ein Zeichen

(das heißt dafür ist mir auch der folgende Gedanke ein Beweis): Bevor Gott

alle Dinge schuf, da war (er) Gott und Hölle und Fegefeuer und alle Dinge (da

alle als Ideen virtualiter in ihm sind); und e b e n s o i s t d e r M e n s c h d i e

W e l t , weil das Licht (die Idee der Welt, als Möglichkeit) in ihm (schon) war.

Und diese Welt ist doch von ihm geschaffen (vom Menschen, von Gott).

2

Pf. 522, 4: (Wie in Christus) sind alle Kreaturen ein Mensch und der Mensch

ist Gott.