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„In der minne, dâ sich got minnet, dâ inne minnet er alle crêatûren.“
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„wan in der minne, da sich got selben inne minnet, in der minne minnet er
mich, und diu sêle minnet got in der selben minne, da er sich selben inne min-
net, und enwaere disiu minne niht, dar inne got die sêle minnet, der heilige
geist entwaere niht.“
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Dies konnte Eckehart nur von dem Begriffe des Innebleibens her
sagen: indem Gott sich selbst liebt, liebt er die in ihm (ideenhaft)
befindliche Welt und Seele! Hieraus ersieht man, wie nach Eckehart
die Schöpfung und damit das Verhältnis Gottes zum Geschaffenen
auf beidem beruht: auf Erkenntnis (Sohn) und auf Liebe (Geist).
Beide aber, Erkenntnis und Liebe, sind auf F r e i h e i t gegründet,
sind fern jeder Notwendigkeit, Naturhaftigkeit, Selbsttätigkeit, wie
sie dem emanatistischen oder pantheistischen Lehrbegriffe entspre-
chen würden.
Wenn allerdings Eckehart öfters Ausdrücke wie „ausfließen“ oder
„Gott muß wirken in der Seele“ gebraucht, so sind dies nur bild-
hafte Redensarten, die keineswegs die begreifliche Begründung des
Schöpfungsbegriffes, wie wir ihn erklärten, umstoßen können.
Wir finden im Gegenteile bei Meister Eckehart eine Vertiefung.
Eckehart faßt nichts an, dem er nicht Stempel seiner Eigenart auf-
prägt. So auch hier. Er bleibt nicht bei dem Herkömmlichen im
Begriffe der Liebe stehen. Die Liebe ist ihm das schlechthin Mitteil-
same, ist das, „was sich gemeinet“, das heißt vergemeinsamt. Das ist
zugleich das Gute. „Was ist gut? — was sich gemeinet“, lautet eines
seiner großen Worte.
In allem Sich-Gemeinsammachen, Sichmitteilen liegt nun aber, so
dürfen wir sagen, nichts Geringeres als die W u r z e l d e r A n -
d e r h e i t . Leider verfolgt Eckehart diese Fährte nicht weiter. Aber
ein Hinweis liegt doch in seinen Gedanken darüber unverkennbar.
Wenn demnach Eckehart sagt: „Gott minnt sich selbst“, so liegt
darin der Ansatz einer Anderheit, und daher ergreift es uns un-
mittelbar, wenn er hinzufügt:
„Mit der minne, da sich got minnet, dâ mite minnet er alle crêatûren.“
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Pf. 180, 3: In der Liebe, in der sich Gott (selbst) liebt, darin liebt er (auch)
alle Kreaturen.
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Q I 168, 4: denn in der Liebe, in der sich Gott selbst liebt, in dieser Liebe
liebt er mich, und die Seele liebt Gott in derselben Liebe, darin er sich selbst
liebt; wäre aber diese Liebe nicht, darin Gott die Seele liebt, so wäre (auch) der
Heilige Geist nicht.
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Pf. 180, 4: Die Liebe, darin sich Gott liebt, darin liebt er alle Kreaturen.