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109

Um in diesem Punkte die Schöpfungslehre des Meisters zu ver-

stehen, muß man mehreres bedenken. Erstens, daß dem Haupt-

gedanken nach Eckehart die Weltschöpfung auf ein E r k e n n e n

gründet, die Selbsterkenntnis Gottes. Erkennen ist aber nie und

nimmer ein Naturvorgang, ein notwendiger Vorgang z. B. nach Art

der Emanation. Zweitens ist zu bedenken, daß nach Eckehart nicht

ausschließlich die Selbsterkenntnis Gottes, die Sohnesgeburt, sondern

auch die L i e b e Gottes zur Schöpfung gehöre. Drittens endlich

die Uberzeitlichkeit des göttlichen Schaffens.

Wie das Verhältnis der beiden Urgründe des Schaffens, der Er-

kenntnis und der Liebe, zu denken sei, folgt für Eckehart einfach

aus dem trinitarischen Prozesse, an den ihm ja die Schöpfung ge-

knüpft ist:

„Zweigerleie wise entgiezent sich die crêatûren. Diu erste wîse der entgiezunge

ist an ir wurzel, als sich die wurzelen dem boum entgiezent. Diu ander wîse

der entgiezunge ist an einer gemeineter wîse. Seht, also ist diu entgiezunge güt-

licher nâtûre in zweigerleie wîse. Diu ein entgiezunge ist des sunes von dem

vater; diu geschiht in einer gebürte wîse. Diu ander entgiezunge ist von liebi

des vaters unde des sunes, daz ist der heilig geist, want sich bêde an ime

minnent.“

1

Die Weltschöpfung gründet also im innergöttlichen Leben, und

schon darum ist sowohl Pantheismus wie Emanation von der

Schöpfungslehre Eckeharts ausgeschlossen. Wenn auch die Schöpfung

den Vorrang der Erkenntnis, das ist des Sohnes, voraussetzt, die

Liebe, das S i c h - S e l b s t - M i t t e i l e n Gottes, ist schlechthin

unentbehrlich, wie für den innergöttlichen Lebensgang so für die

Schöpfung nach außen:

„ . . . daß Gottes Natur, Sein und Leben darin besteht, daß er sich selbst mit-

teilt (subsistit in se communicando) und daß er sich. .. ganz gibt“

2

.

Daher auch umgekehrt von der Seele aus:

„Die Seele, die in Minne ist, die ist in Gotte .. .“

3

.

1

Pf. 94, 3: Auf zweierlei Art ergießen sich die Kreaturen: Die erste Art ist

die Entgießung an ihrer Wurzel, wie sich die Wurzeln dem Baum entgießen.

Die andere Art der Entgießung ist die in die Gemeinsamkeit. Seht, ebenso ist

die Entgießung der göttlichen Natur auf zweierlei Weise: Die eine Entgießung

ist die des Sohnes vom Vater, die in der Form einer Geburt geschieht. Die an-

dere Entgießung ist die der Liebe zwischen dem Vater und dem Sohne, und die

ist der heilige Geist, weil beide einander lieben.

2

B 55.

3

Auguste Jundt: Histoire du pantheisme populaire au moyen âge et au

seizième siècle, Paris 1875, Anhang II, S. 257, 28: Die Seele, die in Liebe ist, die

ist in Gott. ..