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Nominalismus, welcher die Idee leugnete und z. B. fragte, ob die
Idee des Pferdes auch Gras fresse, bereits zu spüren war. Demgemäß
faßte er die Natur durchaus als von schöpferischem Leben durch-
flutet auf (wie später näher zu erklären), und auch seine Lehre vom
I n n e b l e i b e n der Idee der ausgegliederten oder geäußerten (von
Eckehart bildlich meist als „ausgeflossen" bezeichneten) Naturdinge
begegnet uns hier wieder. Der dabei sich ergebende S t u f e n b a u
von Ausgliederung oder Äußerung und Innebleiben ist nun noch
näher zu betrachten, wobei wir die Einzelheiten der Eckehartischen
Ideenlehre aus maßgebenden, echten Quellen, nämlich vorwiegend
den lateinischen Schriften, kennenlernen.
Als oberster Satz dieser Ideenlehre kann der folgende betrachtet
werden:
„Was aber im Niederen geteilt ist, das ist eins im Oberen, und seine (des
Niederen) Eigentümlichkeiten beeinflussen das Obere nicht.“
1
Das wird dann in verschiedenen Zusammenhängen immer wieder
erläutert.
„.. . weil die Wonne und jedes Etwas in seiner Idee (in sua ratione) sich ver-
birgt. So (verbirgt sich) Farbe und Hitze in der Sonne und sinnliches Licht im
geistigen Lichte. Denn die Idee des Kreises ist kein Kreis und nicht auf kreis-
förmige Weise.“
2
Mit dieser letzteren Äußerung wendet sich Eckehart gegen die
Nominalisten, welche fälschlich einwandten, die Idee müßte doch
wieder auf sinnliche Weise sein
3
. Eckehart begründet das wiederholt:
„Ganz allgemein (universaliter) ist das Unvollkommene des Niederen in
seinem Oberen verborgen, jedes Ding in seiner Idee [und das ist darum möglich],
weil dort der Stein nicht Stein ist, [welche Bemerkung sich wieder gegen die
Nominalisten richtet]. So (verbirgt sich) die Hitze in der Form (forma) des
Feuers, wo es nicht brennt; die Unterscheidung von Zorn und Begierde (verbirgt
sich) im Willen, jede Gegensätzlichkeit im Himmelskörper, die Vielheit im Einen,
die Beraubung in ihrem habitus, die Finsternis im Lichte. Selbst das Nichts, die
Wurzel des Bösen, der Beraubung und der Vielheit, verbirgt sich im wahren und
vollen Sein selbst.“
4
„Denn ganz allgemein enthält ein Höheres alles Niedere in sich. Daher ist
nach Maimonides der einzelne Mensch der (ganzen) Art der sinnlichen Natur
gleich, so daß die Rechtfertigung eines einzelnen Menschen ein größeres Gut ist
1
B 65.
2
B 85.
3
Siehe das obige Beispiel des Pferdes, dessen Idee doch wieder Gutes fressen
müßte!
4
B 86.