154
Durch die Menschenwendigkeit, so sind die letzten Worte auszu-
legen, wird die Natur auch, wie wir sagen wollen, g o t t w e n -
d i g , da der Mensch seinem Wesen nach zu Gott hinstrebt.
Mittelbar finden wir hier auch jene Lehre von der Veredelung
der Welt durch die geheiligte Seele, welche in der indischen Mystik
eine so große Rolle spielt: die Guten sind dort geradezu die „Welt-
erhalter“ (Sawitzi).
Im allgemeinen darf man sich aber die Gottwendigkeit der Natur
nur, wie gesagt, mittelbar durch die Seele bedingt denken, so näm-
lich, daß die Seele der „Inbegriff aller Dinge“, „gleichsam alles“
ist, demnach die I d e e jedes Dinges der Möglichkeit nach in sich
enthält. Hierfür sei noch als ein Eckeharten besonders teures Zeug-
nis das Feuer angeführt:
„Sô daz lîplîche f i u r . . . cnbrennet daz holz . . . , sô enpâhet ez fiures nâ-
tûre unt wirt gelîche dem lûtern fiure, daz sunder allez mitel haftet undenen
an dem himele. Alzehant vergizzet unde verzîhet ez vater unt muoter, bruoder
unt swester ûf erde unt îlet unt jaget ûf an den himelschen vater. Sin vater
hie nidenen des funken ist das fiur unt muoter sîniu ist daz holz; bruoder
unt swestern sint die andern funken, . . . : er îlet unt jaget ûf snelleclîchen zuo
sînem rehten vater, daz der himel ist...
Unt noch ist daz gar sêre ze merkenne, daz diz fünkelî niht alleine lâzet
unt vergizzet vater unde muoter ûf ertrîche, mêr: ez lâzet unt verzîhet sich
sîn selbes, unt von nâtiurlîcher minne kumet ez zuo sînem rehten vater, dem
himel; wan ez muoz von nôt erleschen in der kelti der lüfte; doch wil ez be-
wisen nâtiurlîche minne, die ez zuo sînem. . . vater hat.
1
Die Gottwendigkeit des Feuers, wie sie hier geschildert wird, liegt
wohl in ihm selbst, seiner Idee, aber doch nur dadurch, daß das
Feuer ein Gleichnis der Seele ist. Das Feuer gebiert sich im Holze,
wie Gott sich in der Seele gebiert. Das Feuer verläßt die Welt, um
zu Gott zu eilen; so auch „verzieht“ sich die Seele ihrem reinen
1
Pf. 430, 19: Wenn das materielle Feuer das Holz entzündet, so empfängt
es die Natur des Feuers und wird dem lauteren Feuer gleich, das ganz unmittel-
bar unten am Himmel haftet. Sofort vergißt und gibt es auf Vater und Mutter,
Bruder und Schwester auf Erden und jagt hinauf zum himmlischen Vater. Sein
Vater hienieden (der des Funkens) ist das Feuer, und seine Mutter ist das Holz,
seine Brüder und Schwestern sind die anderen Funken ... Er eilt und jagt schnell
hinauf zu seinem rechten Vater, welches der Himmel ist...
Und weiterhin ist noch sehr zu beachten, daß dieses Fünklein nicht allein
Vater und Mutter auf Erden vergißt und verläßt; vielmehr es verläßt und
verleugnet sich selbst und aus seinem natürlichen Liebesdrang kommt es zu
seinem rechten Vater, dem Himmel. Denn notwendigerweise muß es in der
Kälte der Lüfte erlöschen; gleichviel will es die natürliche Liebe, die es zu
seinem Vater hat, bekunden.