157
spricht, daß die Dinge zu ihren Vorbildern hinstreben; wie denn
überhaupt alles Werden des sinnlichen, irdischen Seins in gewissem
Sinne von der Liebe des Gewordenen zu seiner übersinnlichen Idee
ausgehe
1
. Ferner wird in den „Gesetzen“ der Weltgeist als Herr-
scher und Ordner des Weltalls gefeiert
2
, und durch Teilnehmen
an dieser Vernunft, den Ideen, entstehen und bestehen alle Dinge,
was ebenfalls einen Zug zur übersinnlichen Welt in sich schließt
3
.
Und endlich: Gott ist der mythische Beweger der Sphären, er zieht
sie zu sich
4
.
A r i s t o t e l e s gestaltete diesen Platonischen Gedanken aus. Er
lehrt ausdrücklich, daß Gott die Welt wie der Geliebte den ge-
liebten Gegenstand bewege, während er in Selbstbetrachtung in sich
selbst verharre — die berühmte Lehre vom „unbewegten Beweger“,
welche die gesamte Scholastik und mit ihr Eckehart übernahm. Dar-
nach ist alles Werden durch das Sich-Hinbewegen der Dinge nach
Gott begründet
5
.
Übereinstimmend damit lehrte der neuplatonische Mystiker
P 1 o t i n die Rückwendung (epistrophé) der Kreaturen zum Einen,
zu Gott.
Und diese Plotinische Lehre gestaltete besonders A u g u s t i n u s
aus, den Eckehart besonders gut kannte und benützte. Er lehrte als
Mystiker aufs klarste den Zug des Menschen zu Gott, wie schon sein
bekanntes Wort bezeugt: „Unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe
findet in Dir“ (in Gott).
Vergleicht man das alles zusammen mit Eckeharts Lehren, so tritt
gerade das Ursprüngliche derselben hervor! Nicht um eine lehr-
geschichtliche Entlehnung kann es sich bei Eckehart handeln. Die
wahre Quelle seiner gesamten Naturphilosophie liegt in der my-
stischen Schau selbst, welche von Eckehart mit unvergleichlicher
Schöpferkraft und Geistestärke, unabhängig von allen „Einflüssen“,
selbständig g e d e u t e t wurde!
Diese Ursprünglichkeit Eckeharts beweisen ja auch seine anderen
naturphilosophischen Lehren, besonders jene, daß die Naturdinge
1
Platon: Philebos 53 d ff.; Staat 511b.
2
Platon: Gesetze 875 cf.
3
Platon: Phaidon 101 cf.; Philebos 27a.
4
Platon: Politikos 269 c f.
5
Aristoteles: Metaphysik VII 6; Physik II 1 und VIII 11.