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192

zur Erkenntnis kommt.“

1

Überall wo Eckehart die niederen Seelen-

kräfte erwähnt, eilt er sogleich zu ihrem Ursprunge, so z. B. bei

Pfeiffer in der ersten Predigt:

„Alliu werc, diu diu sêle wirket, diu .. . wirket si mit den kreften unde niht

mit dem wesenne. Allez ir ûzwirken haftet iemer an etwaz mitels. Die kraft des

Sehens enwirket si niht dan durch diu ougen, und also ist ez mit allen den

andern sinnen. . . . Aber in dem wesenne enist kein werc, .. . wan die krefte, .. .

die fliezent ûz dem grunde. ... in dem grunde dâ ist daz mitel swîgen, . . .

Got gêt hie in die sêle mit dem sînem allem, . . . Nieman tuot den grunt

rüeren in der sêle denne got alleine.“

2

Es ist nicht genug zu bewundern, wie durchdringend Eckehart

auch die Sinne in den Gesamtzusammenhang des geistigen und sitt-

lichen Lebens einzugliedern weiß und dabei gleichsam mühelos die

Ganzheitslehre, deren Ausbildung mich lebenslang beschäftigte, in

vollendeter Form vorwegnimmt. Wir geben im folgenden eine von

Konrad Weiß übersetzte Stelle aus dem lateinischen Johanneskom-

mentar Eckeharts wieder:

„Es ist gründlich zu beachten, daß kein Glied (membrum) sich selbst mehr als

einem andern Gliede dient. Z. B. sieht das Auge für sich selbst nicht mehr als

für den Fuß. Ja auch dem Fuße dient es nicht, sondern dem ganzen Menschen

oder Tiere, dem es zuerst an sich unmittelbar allein dient.

Denn durch es (das Auge) und für es und seinetwegen wirken sie für sich

und für einander . . . Daher ist es schief zu sagen: das A u g e sieht, das Ohr

hört, die Z u n g e spricht usw. So aber ist es richtig: der M e n s c h sieht mit

dem Auge, hört mit dem Ohre, spricht mit der Zunge. Die Handlungen ge-

hören nämlich zu ihrem Träger, und dessen ist das Wirken, wessen das Sein ist.“

3

1

Angeführt bei: Otto Karrer: Meister Eckehart, Textbuch aus den gedruckten

und ungedruckten Quellen, München 1923, S. 11.

2

Pf. 4, 29: Alle Werke, die die Seele wirkt, die wirkt sie mittels der Kräfte

und nicht mit dem Sein. All ihr Wirken nach draußen haftet immer an etwas

Vermittelndem. Die Sehkraft wirkt nur durch die Augen und so ist es auch mit

allen anderen Sinnen. Im Sein aber gibt es kein Werk. Denn die Kräfte, die

fließen (zwar) aus dem Grunde, in diesem Grunde (selbst) aber schweigt das

Mittel.

Gott geht hier in die Seele ein mit seiner Ganzheit. Niemand berührt den

Grund in der Seele als Gott allein.

3

Aus: Ilse Roloff: Meister Eckeharts Schriften zur Gesellschaftsphilosophie,

Jena 1934, S. 293 (= Die Herdflamme, Bd 20).

Vgl. dazu mein Buch: Kategorienlehre, 3. Aufl., Graz 1969.