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194

Da man merkwürdigerweise diesen naturphilosophischen Grund-

satz bisher nicht verstand, verstand man auch den entsprechenden

der Sittenlehre nicht. Man konnte die Zwiespältigkeit von Tätig-

keit und Versenkung, welche äußerlich gesehen in der Lehre Ecke-

harts lag, nicht vereinigen. Aber Eckeharts Lehre geht von der

Wahrheit des gesamten Naturlebens aus, wonach sich erst durch

T ä t i g k e i t die Wesen entfalten und zu ihrer Wirklichkeit ge-

langen.

Gibt es eine tiefere Wahrheit auch für den Menschen? Was für

alle Wesen gilt, muß auch für ihn gelten. Allerdings muß es auf

eine höhere, eine geistige Stufe von Anbeginn gehoben werden.

Darüber müssen wir nun Eckehart selbst hören:

„Alles Geschaffene erhält dadurch seine Vollkommenheit, daß es sich Gott

nähert und ihm in seiner Weise nahe ist.“

1

„In seiner Weise“ (secundum modum suum) deutet dabei auf

den grundsätzlichen Unterschied von Mensch und Natur, wie er

schon oben hervortrat. Nur der M e n s c h d r i n g t z u

G o t t v o r :

„Gott als Gott ist und schmeckt und findet sich nur in der geistigen Natur“

2

,

dagegen: Der Stein „weiß ihn nicht!“

Eckeharts Forderung, tätiges und innerlich abgeschiedenes Leben

zu vereinigen, erläutert Eckehart an folgendem Beispiele:

„Des nim ein ebenbilde. Ein tür gêt in einem angel û unde zuo. Nû gliche

ich daz ûzer bret an der tür dem ûzern menschen, sô glîche ich den angel dem

innern menschen. So nû diu tür ûf unde zuo gêt,sô wandelt sich daz ûzer bret

hin unde her unde belîbet doch der angel an einer stete unbewegelich unde wirt

dar umbe niendert verwandelt. In gelîcher wîse ist ez ouch hie.“

3

IL Abgeschiedenheit, das Ziel der Lebens- und Sittenlehre

Worauf nach Eckehart alles ankommt, worauf er in allen seinen

Predigten und Schriften immer wieder hinauswill, was ihn be-

stimmt, alle Ausgestaltungen seiner Lehrbegriffe zu unterlassen, um

1

B 98.

2

B 144.

3

Pf. 489, 27: Dazu nimm ein Gleichnis! Eine Tür geht in einer Angel auf

und zu. Nun vergleiche ich das äußere Brett an der Türe mit dem äußeren

Menschen und die Angel mit dem inneren. Wenn nun die Tür auf und zu geht,

so bewegt sich das Außenbrett hin und her und die Angel bleibt dabei unbeweg-

lich an seiner Stelle und wird darum nirgends bewegt. Ebenso ist es auch hier.