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.. der geist, der lât ime niht alleine genüegen mit disem liehte, er dringet
allez für durch das firmament unde dringet durch den himel, biz daz er kumt
zuo dem geiste, der den himel umbe trîbet, dâ von dem umbeloufe des himels
grüenet unde loubet allez, daz in der weit ist. Dannoch genüeget disen geist
niht, er dringe für baz in den wirbel und in den ursprunc, d1a der geist sînen
ursprunc inne nimt....
Dirre geist muoz übertreten alle zal und alle menige durchbrechen und er
wirt von gote durchbrochen, und also, als er mich durchbrichet, alsô durch-
briche ich in wider. Got leitet disen geist in die wüestunge und in die einekeit
sîn selbes, da er ein luter ein ist und in sich selber quellende ist. Dirre geist hât
kein warumbe, unde solte er dehein warumbe haben, sô müeste diu einekeit ir
warumbe haben. Dirre geist stêt in einekeit unde vrîheit.“
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Z u s a t z ü b e r d a s V e r h ä l t n i s E c k e h a r t i s c h e r u n d
B u d d h i s t i s c h e r M y s t i k
Diese kostbare, unbedingt echte Äußerung Eckeharts ist dadurch besonders
bedeutsam, daß sie in kürzester Form andeutet, was die 87. und 56. Predige
zum Gegenstande hat und diese Predigten wieder in ihren entsprechenden Stel-
len bestätigt und erhellt; vor allem aber dadurch, daß sie für uns heute auch
eine Ablehnung des Buddhismus darstellt; in jenen seiner Formen nämlich,
welche alles Leben und Leiden verneinen und auch das Nirwana als das Aus-
löschen und das schlechthin Unbestimmbare (also verneinend) fassen. Eckehart
wußte natürlich nichts vom Buddhismus. Er berührt aber in dem, was er oben
die „Wüstung" der Gottheit nennt, jenen Begriff, welcher in der mystischen
Erfahrung dem „Nirwana“ der Buddhisten entspricht. Eckehart handelt jedoch
den Begriff dieses Zustandes in bejahender Weise, indem er von der „ E i n i g -
k e i t “ des göttlichen „ S e l b s t e s “ spricht; ferner von der E i n h e i t des
menschlichen Geistes und von dem inneren G e n ü g e n , welches die Gottheit
in sich findet — sie hat „kein Warum“ —; endlich auch von der „ F r e i -
h e i t “ , welche in dieser Einigkeit und Einheit mit sich selbst liegt!
Man bemerke nun: Mit dem Begriffe des „Selbstes“ in der „Wüstung“ der
Gottheit bestimmt er auch die über den Personen des trinitarischen Vorganges
hinausliegende Einheit nach Art der P e r s o n (oder Überperson); und damit
schwindet jede Möglichkeit einer atheistischen Auslegung des Nirwana-Begriffes
dahin, zum Unterschiede von gewissen buddhistischen Richtungen, welche die
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Pf. 232, 8: Der Geist läßt sich’s nicht an jenem Licht allein genügen, er
dringt immerzu vor durch das Firmament hindurch und dringt durch den Him-
mel, bis er zu dem Geiste kommt, der den Himmel umtreibt; von dem Umlaufe
des Himmels grünt und belaubt sich alles, was in der Welt ist. Immer noch
aber genügt’s dem Geiste nicht, er dringe denn weiter vor in den Wirbel und
in den Urquell, darin der Geist seinen Ursprung nimmt.. .
Dieser Geist muß alle Zahl überschreiten und alle Vielfalt durchbrechen, und
er wird (dann) von Gott durchbrochen; ebenso aber, wie er mich durchbricht,
so wiederum durchbreche ich ihn! Gott leitet diesen Geist in die Wüste und in
die Einheit seiner selbst, wo er ein lauteres Eins ist und (nur noch) in sich selbst
quillt Dieser Geist hat kein Warum (mehr); sollte er aber irgendein Warum
haben, so müßte auch die Einheit ein Warum haben. Dieser Geist steht in Ein-
heit und Freiheit.