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197

. . . vollekomeniu dêmuot ist sich selber neigende under alle crêatûre und in

der neigunge sô gêt der mensche uz im selber ûz die crêatûre. Aber abe-

gescheidenheit belîbet in ir selber . . .

Ich lobe ouch abegescheidenheit für alle barmeherzikeit, wan barmeherzikeit

ist niht anders, wan daz der mensche ûz ime selber gêt ûf sînes ebenmenschen

gebresten unde da von sîn herze betrüebet wirt. Des stât abegescheidenheit

ledic unde belîbet in ir selber unde lât sich kein dinc betrüeben. Kürzlîchen

geredet: Wenne ich alle tugende ansihe, sô vinde ich keine sô gar âne gebresten

unde zuo gote gefüegic alse abegescheidenheit ist. . . .

. . . der mensche, der also stet in ganzer abegescheidenheit, wirt alsô gezuket in

die êwikeit, daz in kein zergenclich dinc bewegen mac. . ..

Nû möhtest dû frâgen, waz abegescheidenheit sî, wan si alsô edel an ir selber

ist? Hie solt dû wizzen, daz rehtiu abegescheidenheit niht anders enist, wan daz

der geist also unbewegelich stande gegen allen zuovellen liebes unde leides, êren,

schande und lasters, als ein b r e i t e r b e r c u n b e w e g e l i c h s t e t

g e g e n e i m e k l e i n e n w i n d e . Disiu unbewegelîchiu abegescheidenheit

bringet dem menschen in die groeste gelîcheit mit gote. Wan daz g o t i s t

g o t , d a z h â t e r v o n s î n e r u n b e w e g e l î c h e n a b e g e s c h e i -

d e n h e i t , unde von der abegescheidenheit hât er sine lûterkeit unde sine

einvaltikeit unde sîne unwandelbêrkeit. Unde dâ von, sol der mensche gelîch

werden gote alse verre ein crêatûre gelîcheit mit gote haben mac, daz muoz

geschehen mit abegescheidenheit. . . . Unde diu gelîcheit muoz geschehen in

gnâde,. . .

L a e r e s î n a l l e r c r ê a t û r e i s t g o t e s v o l s î n , unde vol sîn aller

crêatûre ist gotes laere sîn."

Wir sehen hier den Meister die Abgeschiedenheit als die höchste

der Tugenden feiern. Aber sie ist ihm zugleich mehr als eine Tu-

gend. Die vorstehenden Worte beweisen es, sie ist: die mystische

Einkehr in sich selber, vollkommenes Beisichselbstsein, Insichselbst-

sein, reine Selbstbetrachtung, mystische Einung. Denn diese ist

ihrem Wesen nach ein Leersein aller Dinge, wie Eckehart von der

Abgeschiedenheit rühmt, und damit notwendig ein Vollsein Gottes.

Versenkung, Verzückung in Gott — das ist Abgeschiedenheit!

„Ich erschricke ofte, sô ich von gote reden sol, wie gar abegescheiden diu

sêle muoz sîn, diu zuo der einunge komen wil.“

1

Und noch deutlicher:

„Als sich der mensche abe kêret von zîtlîchen dingen unde s i c h k ê r e t

i n s i c h s e l b e r , dâ verstât er ein himelisch lieht, . . ,“

2

.

Ja, hier läßt sich der Meister hinreißen, einmal den Gang der

Verzückung bis ans höchste Ende anzudeuten, indem er sich gleich-

sam verliert.

1

Pf. 230, 26: Ich erschrecke oft, wenn ich von Gott reden soll, wie völlig

abgeschieden die Seele sein muß, die zu jener Einswerdung kommen will.

2

Pf. 231, 35: Wenn der Mensch sich abkehrt von zeitlichen Dingen und

s i c h i n s i c h s e l b s t k e h r t , so erkennt er (dort) ein himmlisches Licht.