200
heit im Sinne des Meisters als ein ekstatisches, demnach u n m i t -
t e l b a r e s Verhältnis des E i n z e l n e n zu Gott darstellt,
schließt es das Hingeordnetsein, will sagen die g e i s t i g e G e -
g e n s e i t i g k e i t , nicht aus, vielmehr, wie sich sogleich zeigen
wird, eine geistige Gegenseitigkeit, ein geistiges Aneinander-Werden
der Einzelnen ein. Diese macht aber erst echte G e m e i n s c h a f t
oder (wie ich sie auch nannte) G e z w e i u n g möglich
1
.
Eine Analyse solcher Art dürfen wir, wie gesagt, bei Meister
Eckehart nicht erwarten. Aber er beschämt die einzelwissenschaft-
liche Analysis, indem er mit alles durchdringender Genialität gleich
bis auf den Grund geht: Er geht von Gott aus!
„W az ist g u o t ? Daz s i c h g e m e i n e t. Den heizen wir einen guoten
menschen, der gemeine unde nütze i s t . . . G o t i s t d a z a l l e r g e m e i -
n e s t e , dekein dinc gemeinet sich von dem sînen, wan alle crêatûre von in
selber niht ensint. Swaz sie gemeinem, daz habent sie von eime anderen. Sie
gebent sich ouch niht selbe. . . . ; aber got gemeinet daz sîne, wan er von im
selber ist, daz er ist, und in allen den gâben, die er gît, so gibet er sich
selber . . .‘‘
2
.
Hiermit haben wir denselben Grundgedanken, der die Natur-
philosophie ebenso wie die Sittenlehre des Meisters durchzieht:
M e n s c h u n d N a t u r h a b e n n u r e i n G e m e i n -
s c h a f t s v e r h ä 1 t n i s d a d u r c h , d a ß s i e b e i d e i n
G o t t g r ü n d e n , daß Gott dem Steine ebenso nahe ist wie
dem Menschen (nur: „der stein enweiz ez niht“): So auch die Men-
schen untereinander! Gott wohnt auf dem Grunde jeder Seele, und
die gründen dadurch alle gemeinsam in Gott: diese Gemeinsamkeit
ist es, welche echte G e m e i n s c h a f t o d e r G e z w e i u n g
zwischen den Menschen erst ermöglicht, b e d i n g t . Gott gemei-
1
Vgl. mein Buch: Gesellschaftslehre, 3. Aufl., Leipzig 1930, S. 113 ff.
[4. Aufl., Graz 1967, S. 143 ff.].
2
Pf. 269, 21: Was ist g u t ? D a s , w a s G e m e i n s c h a f t w i l l
( s i c h v e r g e m e i n s a m t ) . Den nennen wir einen guten Menschen, der
Gemeinschaft hält und nützlich i s t . . . G o t t i s t d a s i m w e i t e s t e n
S i n n G e m e i n s a m e ; kein Ding vergemeinsamt sich aus seinem eigenen
Wesensstoffe, denn alle Geschöpfe sind nicht aus sich selbst. Was immer sie in
der Gemeinschaft an andere hergeben, das haben sie von einem anderen. Sie
geben sich daher nicht selbst. . . Aber Gott teilt der Gemeinschaft aus seinem
eigenen Wesensstoffe mit, denn er ist aus sich selbst, was er ist; und in allen
Gaben, die er gibt, gibt er sich selber .. .